Traumfaenger
sie merkten, dass du nicht mehr hier warst, sind sie weitergezogen. Mir können sie ja nichts tun. Kurz darauf kam Matt. Ich berichtete ihm, was geschehen war und er hat sich sofort wieder auf den Weg gemacht.«
Ich stöhnte und vergrub das Gesicht in den Händen. Warum hatte er nicht einfach hier gewartet? Ingrid schien zu wissen, was ich dachte.
»Matt war der Meinung, dass du dank des Knopfes direkt bei ihm wieder in die Traumwelt eintreten würdest und er wollte vorab schon einen großen Teil der Strecke hinter sich bringen, um dir nicht zu viel zuzumuten«, erklärte sie. Ich sah überrascht auf.
»Das hat er gesagt?« Wieder nickte sie, doch diesmal war da auch ein wissendes Lächeln auf ihren Lippen.
»Allerdings hat er einen nicht unerheblichen Vorsprung. Wie ich ihn kenne, hat er den See der Verdammnis bereits überquert«, bemerkte sie.
»Dann darf ich keine Zeit verlieren«, sagte ich eifrig und erhob mich. »Wo liegt dieser See?«, wollte ich wissen, während ich mir meinen Rucksack umschnallte. Ingrid öffnete die Tür eines sehr antik wirkenden Schrankes.
»Du musst immer nach Süden. Es ist ungefähr ein Tagesmarsch.« Sie nahm ein Glas, in dem viele kleine Holzstäbchen steckten, und reichte mir einige davon. Zuerst wusste ich nicht, um was es sich handelte, doch als ich sie an mich nahm, fiel es mir wieder ein.
»Damit rufe ich Needle, oder?«
»Ganz genau. Sobald du eines davon entzweibrichst, wird der kleine Mistkerl erscheinen.« Ich hatte ja bereits mitbekommen, dass Ingrid nicht sehr gut auf Needle zu sprechen war, aber warum gab sie mir dann diese Stäbchen.
»Und weshalb sollte ich ihn rufen?« Ingrid verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf, angesichts meiner Unwissenheit.
»Nur er kann dich über den See, zum anderen Ufer bringen, hast du das schon vergessen? Allerdings wirst du dafür zahlen müssen und der Preis wird hoch sein«, gab sie zu bedenken.
»Das kriege ich schon hin«, erklärte ich und schob die Holzstäbchen in meine Jeans. »Wird der Weg bis zum See gefährlich sein? Ich meine, sind dort viele Seelenfresser?« Die Waldfee schüttelte lächelnd den Kopf.
»Nachdem ich dich in deine Welt zurückgeschickt habe, sind alle abgezogen. Ich denke, du wirst auf dem Weg zum See auf keinen Seelenfresser stoßen.« Ich atmete erleichtert auf, angesichts dieser Nachricht.
»Dann werde ich mich jetzt auf dem Weg machen«, sagte ich und reichte ihr die Hand zum Abschied. »Vielen Dank für alles, was du für uns getan hast.« Ingrid starrte stirnrunzelnd auf die Hand, die ich ihr entgegengestreckt hatte, dann lächelte sie und zog mich in eine herzliche Umarmung.
Bei Einbruch der Dunkelheit hatte ich endlich mein Ziel erreicht. Ich stand einige Minuten einfach nur da und starrte auf den See. Das Gewässer bewegte sich kein bisschen und der See wirkte in der Dämmerung wie ein Spiegel. Keine einzige Welle kräuselte sich auf der Oberfläche. Weshalb nannte man ihn wohl "See der Verdammnis", wo er doch so friedlich und wunderschön aussah?
Ein Stück weiter rechts am See entdeckte ich ein kleines Holzboot, das jemand zur Hälfte auf das Ufer gezogen hatte. Was wohl geschehen würde, wenn ich einfach versuchte, damit den See zu überqueren? Ich reckte den Hals, um das gegenüberliegende Ufer des Sees auszumachen, doch ich konnte in der hereinbrechenden Dunkelheit nicht mehr viel sehen.
Ich hätte mich liebend gerne eine Weile ausgeruht, aber wenn ich Matt einholen wollte, durfte ich keine Zeit verlieren. Ich zog eines der Holzstäbchen heraus und zerbrach es. Anschließend sah ich mich abwartend um.
Ich musste nicht lange warten, bis ich Needle erblickte, der vom Waldrand her auf mich zugelaufen kam. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war er nicht sehr erfreut, dass ich ihn gerufen hatte.
»Was gibt’s?«, fragte er gelangweilt, als er nah genug war, damit ich ihn verstehen konnte. Ich deutete auf den See hinaus.
»Ich muss ans andere Ufer und Ingrid hat mir gesagt, dass ich mich an dich wenden soll.« Er kratzte sich am Ohr.
»Damit hat sie recht.«
»Schön, also sag mir, was du dafür verlangst.« Er besah sich seine ungepflegten Fingernägel und tat gespielt nachdenklich. »Needle, rede mit mir«, forderte ich ihn barsch auf. Er sah hoch.
»Ich bin mir nicht sicher, welche Erinnerung ich möchte«, gab er zu und verzog den Mund. »Vielleicht sollte ich mir noch einmal einen kleinen Überblick verschaffen«, entschied er und streckte mir die Hand
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