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Traumfänger

Traumfänger

Titel: Traumfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlo Morgan
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»songlines« lediglich mit einer Methode vergleichen, die ein blinder Freund von mir zum Abmessen von Entfernungen entwickelt hatte.
    Die Aborigines weigern sich, eine Schriftsprache zu benutzen, weil das ihrer Meinung nach dem Gedächtnis seine Kraft nimmt. Nur durch ständige Übung und Forderung könne man die bestmöglichen Gedächtnisleistungen erzielen.
    Der Himmel über uns blieb Tag für Tag unverändert pastellblau und wolkenlos und variierte nur leicht in den Schattierungen. Das grelle Mittagslicht wurde vom leuchtenden Sand reflektiert. Es strapazierte und stärkte gleichzeitig meine Augen, die zu Einlaßtoren für den Fluß einer ganz neuen Sehkraft wurden.
    Viele Dinge lernte ich erst jetzt richtig schätzen, weil ich sie nicht mehr als selbstverständlich hinnahm: das Gefühl der Erneuerung und Erfrischung nach der Nachtruhe, das wirkliche Stillen meines Durstes mit nur wenigen Schlucken Wasser und die ganze Breite der Geschmacksrichtungen zwischen süß und sauer.
    Mein ganzes Leben lang hatte ich mir Sorgen um die Sicherheit meines Arbeitsplatzes gemacht, mir überlegt, ob ich mich für den Fall einer Inflation absichern, Immobilien kaufen und für meinen Ruhestand sparen sollte. Die einzige Sicherheit hier draußen war der ewige Zyklus von Morgendämmerung und Sonnenuntergang. Bei diesen Menschen, die - zumindest was meine Standards betraf - überhaupt nicht abgesichert waren, gab es erstaunlicherweise weder Magengeschwüre, Bluthochdruck noch Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
    Überall, selbst in den eigenartigsten Dingen, begann ich die Schönheit und Einheit allen Lebens zu erkennen. In einem Schlangennest bewegten sich etwa zweihundert Tiere, ein jedes vom Umfang meines Daumens. Sie bildeten in ihren schlangelnden Bewegungen ein lebendiges, sich ständig veränderndes Muster, wie man sie auf den reichverzierten Vasen in den Museen findet. Ich hatte Schlangen immer gehaßt.
    Jetzt erkannte ich, daß sie für das Gleichgewicht der Natur notwendig waren und wir ohne sie nicht überlebt hätten. Weil kaum jemand diese Kreaturen liebevoll akzeptieren kann, sind sie zum Gegenstand von Darstellungen in Kunst und Religion geworden. Niemals hätte ich mir vorstellen können, daß ich mich auf ein Gericht aus geräuchertem oder sogar rohem Schlangenfleisch freuen würde, aber irgendwann tat ich es. Ich lernte, wie wertvoll die Feuchtigkeit sein kann, die in jedem Essen enthalten ist.
    Im Lauf der Monate erlebten wir alle Temperaturextreme. Am ersten Abend hatte ich das mir zugeteilte Fell als Matratze benutzt, aber als die kalten Nächte einsetzten, wurde es zur Decke. Die meisten von uns lagen eng aneinandergeschmiegt auf dem blanken Boden. Sie holten sich die Wärme lieber von einem anderen Körper als vom nahen Feuer. In den kältesten Nächten wurden zahlreiche Feuerstellen gebaut. Früher hatte der Stamm oft gezähmte Dingos auf seine Wanderungen mitgenommen, die bei der Jagd halfen, treue Gefährten waren und in den kalten Nächten Wärme spendeten. Daher kommt wohl auch der Ausdruck »Hundekälte«.
    Oft lagen wir abends so am Boden, daß wir mehrere Kreise bildeten. Auf diese Weise hatten wir mehr von unseren Decken, und in den Menschentrauben schien sich die Körperwärme des einzelnen viel besser speichern und weitergeben zu lassen. Wir gruben kurze Gräben in den Boden, in die wir heiße Kohlen gaben, welche wir mit einer Sandschicht bedeckten. Die eine Hälfte der Felle legten wir unter uns, mit der anderen deckten wir uns zu. Jeweils zwei Menschen teilten sich so einen »Kohlengraben«. Unsere Füße trafen sich in der Mitte des Kreises.
    Ich weiß noch, wie ich mein Kinn auf beide Hände stützte und in den unendlichen Himmel über mir blickte. Ich erspürte das innerste Wesen dieses wunderbaren, reinen, unschuldigen und liebenswerten Volkes. Würde jemand vom Kosmos dort oben auf uns herabblicken, sähe er lauter Seelen, die in gänseblümchenartigen Kreisen zusammenlagen, und zwischen zwei Körpern leuchtete jeweils ein winziges Feuer. Es mußte ein wunderschöner Anblick sein.
    In diesen Kreisen berührten sich zwar nur die Zehen der Menschen, aber jeden Tag wurde mir klarer, wie ihr Bewußtsein seit Anbeginn der Zeiten das allumfassende Bewußtsein der Menschheit berührt hatte.
    Jetzt begann ich auch zu verstehen, weshalb sie mich ganz ohne Umschweife als »Veränderte« bezeichneten, und ich dankte ihnen ebenfalls ganz offen dafür, daß sie es mir ermöglichten, aus diesem Zustand zu

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