Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Traumfänger

Traumfänger

Titel: Traumfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlo Morgan
Vom Netzwerk:
singen. Auch wenn ich selbst diese Gabe nicht schätzte, weil ich mir einbildete, nicht singen zu können, würde dies nichts an der Größe des Sängers in mir ändern.
    Viel später auf unserem Walkabout, als wir zusammen an meinen Fähigkeiten zur mentalen Kommunikation arbeiteten, erkannte ich, daß es so lange nicht funktionieren würde, wie es in meinem Herzen oder meinem Kopf noch etwas gab, was ich glaubte verstecken zu müssen. Ich mußte mit allem meinen Frieden machen.

    Ich mußte lernen, mir selbst zu verzeihen und nicht zu richten, sondern aus der Vergangenheit zu lernen. Sie zeigten mir, wie wichtig es ist, sich anzunehmen und sich selbst gegenüber aufrichtig zu sein. Nur wer sich selbst liebt, kann auch andere lieben.

9 •   Ein Hut für den australischen Busch
    Die Buschfliegen im Outback sind eine echte Plage. Gleich mit den ersten Strahlen des Sonnenlichts tauchen sie in Horden auf. Der Himmel ist von riesigen schwarzen Wolken überzogen, in denen sie sich millionenfach zu tummeln scheinen. In Aussehen und Geräusch erinnern diese Fliegenschwärme fast an die Windhose eines Tornados in Kansas.
    Es ist unmöglich, die Fliegen nicht zu schlucken oder einzuatmen. Sie krabbelten mir in die Ohren, in die Nase und in meine zusammengekniffenen Augen; sie schafften es sogar, an meinen Zähnen vorbei bis in meinen Hals zu gelangen. Sie hatten einen eklig süßen Geschmack, von dem ich mich mit Husten und Würgen zu befreien versuchte. Überall klebten sie an meinem Körper, und es sah aus, als trüge ich eine Art lebendiger schwarzer Rüstung. Diese Fliegen stachen nicht, aber ich litt so sehr, daß ich das gar nicht bemerkte. Sie waren so groß, so schnell und traten vor allem in unglaublichen Massen auf - es war einfach unerträglich. Am schlimmsten litten meine Augen.
    Die Stammesleute haben ein Gespür dafür, wann und wo diese Fliegen auftauchen. Sobald sie einen Schwärm hören oder sehen, bleiben sie auf der Stelle stehen, schließen die Augen und verharren mit herabhängenden Armen in absoluter Bewegungslosigkeit.
    Ich lernte bei diesem Volk, bei allen Dingen die positive Seite zu sehen, aber diese Fliegen wären mein Untergang gewesen, wenn ich nicht gerettet worden wäre. Es war einfach die zermürbendste Plage, die ich jemals erlebt hatte. Ich konnte gut verstehen, daß Leute, auf denen Millionen von Insektenbeinen krabbelten, wahnsinnig wurden. Ich war selbst kurz davor.
    Eines Morgens kam ein Komitee von drei Frauen auf mich zu. Sie fragten, ob sie mir ein paar Haarsträhnen zurechtmachen dürften. Seit mehr als dreißig Jahren bleichte ich mir die Haare, und als ich in die Wüste kam, war mein Haar hellblond. Es war lang, aber ich trug es immer hochgesteckt. In den Wochen unserer Wanderung war es nicht einmal gewaschen, gebürstet oder gekämmt worden, und ich hatte keine Ahnung, wie es wohl aussah. Wir waren noch nicht einmal an einer Wasserfläche vorbeigekommen, die so klar und still gewesen wäre, daß ich mich darin hätte spiegeln können. Ich konnte mir die schmutzstarrende, verfilzte und verfranste Katastrophe nur vorstellen. Das Stirnband, das mir die Seelenfrau gegeben hatte, um die Haare aus meinen Augen zu halten, trug ich noch immer.
    Die drei Frauen wurden von ihrem Vorhaben abge-lenkt, als sie die dunkleren Haarwurzeln unter meinem blondgebleichten Haar entdeckten. Sofort rannten sie los und berichteten dem Ältesten davon. Er war ungefähr vierzig bis fünfzig Jahre alt, ein ruhiger Mann von kräftiger, fast athletischer Statur. In der kurzen Zeit unserer gemeinsamen Wanderung hatte ich beobachtet, wie ernsthaft und aufrichtig er sich mit den Gruppenmitgliedern beschäftigte. Für jeden einzelnen hatte er ein Wort des Dankes für seinen Beitrag zur Gemeinschaftsarbeit übrig. Ich konnte gut verstehen, daß man ihn zum Führer gewählt hatte.
    Er erinnerte mich an einen anderen Menschen. Vor Jahren hatte ich im Empfangsbereich der Firma Southwestern Bell in St. Louis gestanden. Der Hausmeister, der eifrig damit beschäftigt war, den Marmorboden zu schrubben, hatte mich hereingelassen, damit ich dort einen Regenschauer abwarten konnte. Plötzlich fuhr eine lange schwarze Limousine vor, und der Präsident der Texas Bell trat durch die Tür. Er nickte mir zu und begrüßte den putzenden Mann mit einem  »Guten Morgen«. Dann sagte er dem Mann, wie sehr er seinen Einsatz für die Firma schätze, denn wer immer dieses Gebäude betrete - und seien es selbst die höchsten

Weitere Kostenlose Bücher