Traumfänger
können. Es war wie ein Blick aus blutunterlaufenen Linsen. Schließlich fanden wir an einem Felsüberhang Unterschlupf, und wir drängten uns aneinander, um uns vor den Naturgewalten zu schützen. In unsere Tierfelle gehüllt, saßen wir uns gegenüber, und ich fragte: »Was für eine Beziehung habt ihr eigentlich zum Tierreich? Sind die Tiere eure Totems; sind sie Symbole, die euch an die Ahnen erinnern?«
»Wir sind alle eins«, lautete die Antwort, »und aus der Schwäche lernen wir Stärke.«
Sie sagten mir, der braune Falke, der uns so hartnäckig verfolgte, erinnere sie daran, daß wir manchmal einfach an das glauben, was wir unmittelbar vor uns sehen. Wir müssen uns nur zu einer höheren Ebene aufschwingen, und schon haben wir ein viel umfangreicheres Bild vor uns. Sie erklärten mir, daß »Veränderte Menschen«, die in der Wüste umkommen, weil sie kein Wasser finden und deshalb wütend und mutlos werden, in Wirklichkeit an ihren Emotionen sterben.
Der Stamm der »Wahren Menschen« ist der Überzeugung, daß die Menschheit als Ganzes den evolutionären Lernprozeß noch nicht abgeschlossen hat.
Die Welt entwickelt sich nach wie vor weiter, sie ist ein Projekt, das noch lange nicht beendet ist. Die Menschen sind zu sehr mit dem aktuellen Sein beschäftigt, um werden zu können.
Als Beispiel führten sie das Känguruh an, diese stille, meist sanftmütige Kreatur, die zwischen einem halben und zwei Meter groß werden kann und in allen Erdfarben von Silbergrau bis Kupferrot vorkommt.
Bei seiner Geburt ist das rote Känguruh nur so groß und schwer wie eine Kidneybohne, aber wenn es ausgewachsen ist, ragt es zwei Meter in den Himmel. Wir »Veränderten Menschen« nehmen ihrer Meinung nach Hautfarbe und Körperformen viel zu wichtig. Die wichtigste Lektion, die uns das Beispiel des Känguruhs erteilt, ist jedoch, daß es nicht rückwärts laufen kann.
Nicht einen Schritt. Es geht immer vorwärts, selbst wenn es sich dabei im Kreis bewegen muß! Sein langer Schwanz ist wie ein Baumstamm und trägt sein ganzes Gewicht. Viele Menschen wählen das Känguruh als ihr Totem, weil sie sich ihm wirklich verwandt fühlen und erkennen, wie wichtig es ist, zu einem inneren Gleichgewicht zu finden. Mir gefiel die Vorstellung, noch einmal kritisch auf mein Leben zurückzuschauen, auch wenn dabei deutlich werden würde, daß ich Fehler gemacht und falsche Entscheidungen getroffen hatte. Aber für eine bestimmte Ebene meines Wesens war es das Beste, was ich zu jenem Zeitpunkt tun konnte. Und auf längere Sicht würde es sich als ein Schritt nach vorn erweisen. Die Känguruhs können auch ihre Fortpflanzung kontrollieren; sobald die Umweltbedingungen es erforderlich machen, hören sie auf, sich zu vermehren.
Auch von der Schlange, die durch den Wüstensand gleitet, können wir etwas lernen, wenn wir betrachten, wie oft sie ihre äußere Hautschicht abwirft. Wenn man von den Dingen, die man mit sieben Jahren geglaubt hat, mit siebenunddreißig immer noch überzeugt ist, hat man in seinem Leben wenig dazugelernt. Es ist notwendig, sich hin und wieder von alten Überzeugungen, Gewohnheiten, Meinungen und sogar Weggefährten zu trennen. Für die Menschen ist es oft sehr schwierig loszulassen. Das Abwerfen ihrer alten Haut bedeutet für die Schlange weder Verlust noch Gewinn. Es ist einfach nur notwendig. Wo kein Platz ist, kann auch nichts Neues gedeihen. Wer sich selbst von alten Lasten befreit, sieht jünger aus und fühlt sich auch so.
Aber natürlich ist man deshalb nicht jünger. Die »Wahren Menschen« finden es lächerlich und sinnlos, ständig seine Jahre zu zählen. Die Schlange steht für Macht und Magie. Beides kann nützlich sein, aber genausogut zerstörerisch, wenn es die Überhand gewinnt. Es gibt viele Giftschlangen, deren Gift stark genug ist, um Menschen zu töten. Aber es ist nicht nur eine hervorragende Waffe für das Tier, sondern kann wie viele andere Dinge auch zu einem für den Menschen nützlichen Zweck eingesetzt werden, zum Beispiel, um einer Person zu helfen, die in einen Ameisenhaufen gefallen ist oder von Wespen und Bienen zerstochen wurde. Das Bedürfnis der Schlange nach Einsamkeit können die »Wahren Menschen« genauso akzeptieren, wie sie es auch respektieren, daß jeder einmal Zeit für sich braucht.
Der Emu ist ein großer und starker Laufvogel. Weil er Früchte frißt, trägt er auch zu deren Wachstum bei. Das Pflanzenangebot in der Wüste ist deshalb so reichhaltig, weil er die Samen
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