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Traumfresser 3 - Die Alchemie des Bösen

Traumfresser 3 - Die Alchemie des Bösen

Titel: Traumfresser 3 - Die Alchemie des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gordon Dahlquist
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Wirklichkeit, und sie …«
    »Ist Möglichkeit, Fruchtbarkeit, Leere. Frau.«
    »Wie erfrischend originell – Fruchtbarkeit und Leere zusammen. Und dieser König und die Königin – Braut und Bräutigam – werden hingerichtet?«
    »Rituell.«
    »Und dann wieder zum Leben erweckt?«
    »Wiedergeboren und erlöst.«
    »Und was entsteht bei dieser spektakulären Hochzeit – wenn die beiden eins werden?« Changs Stimme hatte einen schneidenden Klang. »Oder, verzeihen Sie, drei … oder auch sechs …«
    »Sie erschaffen den Himmel auf Erden.«
    »Was bedeutet das?«
    »Die Wiederherstellung der natürlichen Ordnung.«
    »Und was bedeutet das ?«
    Jetzt war es an Locarno, spöttisch zu werden. »Was ist unser aller Traum? Die Wiederkehr des Garten Eden.«
    Im untersten Stockwerk bemächtigte sich Chang des Mittagessens eines Pförtners, das arglos auf einem Tisch abgestellt worden war. Er aß im Stehen und stopfte sich die letzten Bissen in den Mund, bevor er mit beiden Händen das Gitter zum Abwasserkanal hob. Wenig später tauchte er im Schatten der Irrenanstalt von St. Celia wieder auf. Er wusch sich Hände und Gesicht an deren gemeißeltem Brunnen – ein Kleinkind, das von Vergessen und Hoffnung getauft wurde – und ließ Wasser auf beide Stiefel schwappen, deren Zustand nach dem zweiten Gang durch den Untergrund auch nicht besser geworden war.
    Drei Straßen hinter St. Celia war das Fabrizi’s. Changs Besuch war kurz – und kostete ihn die zweite seiner zusammengerollten Banknoten –, aber er war wieder bewaffnet: ein Stock aus Esche mit Eisenspitze und darin eine zweischneidige Klinge, dreißig Zentimeter lang und nadelscharf. Signore Fabrizi verlor kein Wort über Changs lange Abwesenheit oder seinen heruntergekommenen Zustand, doch Chang war sich wohl bewusst, welches Bild er abgab. Er hatte es selbst zu oft gesehen, Männer, die alles bei einem letzten verzweifelten Wurf riskierten – ein Spiel, das sie bereits verloren hatten. Wenn man sie wiedersah, dann wurden sie aus dem Fluss gezogen, mit einem Gesicht, das formlos und aufgedunsen war wie Brotteig.
    Bevor er gegangen war, hatte er Pater Locarno gefragt, ob Die chymische Hochzeit vielleicht etwas Einzigartiges barg, das die besondere Faszination des Comte erklärte.
    »Der Bote natürlich.«
    »Natürlich? Warum haben Sie ihn dann vorhin nicht erwähnt?«
    Der Priester schnaubte. »Sie wollten die Geschichte hören.«
    »Welcher Bote?«
    »Der Eremit wird von einem Engel eingeladen, dessen Flügel ›mit Augen gefüllt sind‹ – eine Anspielung auf Argus mit seinen hundert Augen, der von Hermes getötet wurde …«
    »Eine Anspielung zu welchem Zweck?«
    »Der Bote – die Jungfrau – ist eine Gestalt der Wachsamkeit …«
    »Warten Sie – die Braut ist eine vieläugige Jungfrau, die ermordet wird?«
    Locarno schüttelte verzweifelt den Kopf. »Mit Jungfrau meine ich den Boten.«
    »Nicht die Braut?«
    »Überhaupt nicht …«
    »Die Braut ist keine Jungfrau?«
    » Natürlich ist sie eine. Doch der Engel – die symbolhafte Jungfrau – der Bote und Einladende – leitet auch die Hinrichtungen, die Hochzeit und die Wiedergeburt. Er wird Virgo Lucifera genannt und taucht nur in diesem einen Werk auf.«
    »Lucifer?«
    »Können Sie kein Latein? Lucifera. Licht. Die Jungfrau der Erleuchtung.«
    »Also ein Geschöpf der Sanftmut und Gnade?«
    »Im Gegenteil. Engel besitzen nicht mehr Emotionen als Greifvögel. Sie sind Wesen der Gerechtigkeit und deshalb unbarmherzig.«
    Ein fast neidischer Stolz erfüllte auf einmal Locarnos Rede. Chang wandte sich schaudernd ab. Es gab schon genug Grausamkeit in der Welt, auch ohne ihr noch zu huldigen.
    Auf halbem Weg zurück zum St. Celia war eine Apotheke, wo Chang für drei Pennies eine Rolle Verbandszeug erstand. Während der Angestellte den Streifen abmaß, um ihn abzuschneiden, wanderte Changs Blick über die Flaschen mit Opiaten hinter dem Tresen. Für keines würden die Münzen in seiner Tasche ausreichen, und er würde seine letzte Banknote hergeben müssen. Er stopfte sich das Verbandszeug in die Tasche und verließ den Laden, bevor er der Versuchung erlag.
    Er eilte auf die hohen Mauern von St. Albericht zu, eine Akademie, die den weltlicheren Belangen der Kirche diente: Finanzen, Grundbesitz, diplomatische Machenschaften. Hatte die Explosion bei der Kathedrale genug Schaden angerichtet, um den Erzbischof dazu zu bringen, seine Residenz zu verlegen? Chang schlich durch die Dunkelheit gegenüber von

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