Traumjaeger und Goldpfote
ihm die Richtung.
»Folge nach Herzenslust deiner Nase«, hatte Feuertatze ihm bei ihrem letzten Gespräch im Hügel gesagt, »durch den großen Wald mit der Sonnen-Geburt vor deinen Augen. Schließlich wird dein Weg dich aus dem Wald führen und durch die Spritzpfoten-Marschen, bis du an das Ufer der
Qu’cef
kommst. Du wirst Breitwassers Ufer folgen, bis du einen seltsamen Hügel siehst, der in der Nacht leuchtet … er steigt aus den Wassern selbst auf. Das ist der Ort, den die
M’an
Villa-on-Mar nennen, und dort wirst du finden, was du suchst.«
Nun wurden der regelmäßige Wechsel zwischen Tag und Nacht, Wandern und Schlafen, all die anderen Jagd-Zeichen der Welt über der Erde Traumjäger wieder vertraut. Er musste nur für sich selbst sorgen und war nur für sich selbst verantwortlich. Wie der silbrige Prillfisch, der in den Stromschnellen der Katzenjaul stromaufwärts sprang, so hüpften auch die Sonnen von Frittis Reise über den Himmel, eine unmittelbar auf die andere folgend. So zog er durch den Rattblatt-Wald.
Allmählich kehrte das Leben in den alten Wald zurück. Die brummenden
Garrin
kamen nach dem Winterschlaf aus ihren Höhlen hervor. Die anmutigen
Tesri
, Böcke und Hirschkühe, und einige wenige sich spreizende Pfauen liefen vorsichtig über die Triften. Traumjäger spürte, wie sehr er dieser zurückkehrenden Welt verhaftet war. Die Schrecken des Hügels begannen zu schwinden. Er war eines der Kinder der Erde, und selbst die lange Zeit, die er unter der Erde zugebracht hatte, hatte sein Wissen um ihren Tanz nicht zerstören können. Er ergötzte sich an jedem Anzeichen für das Schwinden des Winters und an jedem Hauch neuen Lebens, das in den einst so unheimlichen Rattblatt-Wald zurückkehrte.
Zwanzig Sonnen waren aufgegangen und wieder versunken, seit er seine Freunde verlassen hatte, als Traumjäger sich endlich dem anderen Ende des Waldes näherte. Die letzten beiden Wandertage hatten ihn bis zu einem Fleck geführt, wo das Land sanft abzufallen begann und die Luft unter den großen Bäumen einen scharfen Beigeschmack hatte. Mit jedem Atemzug sog er Feuchtigkeit ein – nicht die heiße des Kochenden Flusses, sondern eine steinkühle und blutsalzige. Niemals hatte er so etwas gerochen. Jeder Atemzug belebte sein Herz.
Als er eines Morgens von den letzten Höhen des Rattblatt-Waldes herabkam, vernahm er einen mächtigen, schleppenden Klang. Umfassend und würdevoll stieg er durch das Grün unterihm auf wie das zufriedene Schnurren der Urmutter. Als er an den letzten Bäumen am Waldrand einen Augenblick stehen blieb, sah er vor sich etwas aufschimmern. Eine zweite Sonne, das Gegenstück zum Boten der Kleineren Schatten, der niedrig am Himmel stand, schien durch eine Lücke in dem ungleichmäßigen Bewuchs des Waldrandes zu ihm hinaufzuleuchten. Fritti hörte auf, sich zu putzen, stand auf und stapfte weiter hangabwärts. Sein Schwanz schwang wie der Zweig einer Weide in der leichten Brise hin und her. Als er sich der Lücke näherte, sah er, dass es sich nicht um eine zweite Sonne handelte, sondern um eine Widerspiegelung – unfassbar riesig.
Er stand zwischen zwei uralten Rotholz-Bäumen und blickte hinaus über den jäh abfallenden Hang zu den Ausläufern der Marschen. Er hielt den Atem an.
Die Breitwasser, glänzend wie windpoliertes Gestein, floss bis zum Horizont dahin. Die mächtige
Qu’cef
, rotgolden wie Zaungängers Fell, empfing den lodernden Widerschein der Sonne und gab ihn zurück wie ein glühendes Stäubchen im Auge Harars. Ihr weithallender Ruf – geduldig und von tiefster Ruhe – strömte hinauf zu dem Vorsprung, wo Fritti wie versteinert stand. Er blieb den ganzen Morgen dort, beobachtete, wie das Auge der Sonne in den Himmel stieg und die Breitwasser nacheinander golden, dann grün wurde und schließlich zur Stunde der Kleineren Schatten das tiefe Blau des nächtlichen Himmels annahm.
Dann, während die unbeantwortbare Stimme der
Qu’cef
noch immer seine Ohren und seine Gedanken erfüllte, nahm er seinen Weg hinunter zu den Marschen wieder auf.
Die Spritzpfoten-Marschen erstreckten sich von den Ufern der
Qu’cef
nach Süden, stießen an dessen
Ve’zan
-Rand an den Rattblatt-Wald, bis sie schließlich am Ufer der Katzenjaul endeten. Die Marschen waren flach und kühl, und bei jedem Schritt sank Traumjäger mit seinen Tatzen in den feuchten, schwammigen Untergrund ein. Solange er sich in den Marschen aufhielt,wurden seine Pfoten niemals trocken. Eine endlose
Weitere Kostenlose Bücher