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Traumkristalle

Traumkristalle

Titel: Traumkristalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurd Laßwitz
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Idealist, sondern auch als weichlicher Romantiker. Denn er stand noch auf dem Standpunkte der Dichter des dreiundzwanzigsten Jahrhunderts, welche sich gern in das Zeitalter des Dampfes zurückträumten, in jene Tage, als die Menschen noch gezwungen waren, zu den Bergen aufzusehen. Er verzweifelte an der Macht der Poesie in einem Jahrhundert, in welchem man den rechnenden Verstand vergötterte, und pries die Zeit des Neumittelalters glücklich, in welcher es nicht darauf ankam, an ein heiliges Wunder zu glauben und mit Klopfgeistern zu verkehren. Eine Neuerung jedoch hatte er versucht, welche ein Verdienst um die Literatur bildete, nämlich die Einführung der begrifflich strengen wissenschaftlichen und technischen Bezeichnungen der Vorgänge in die Poesie an Stelle der auf einer veralteten Anschauung beruhenden sogenannten poetischen. Übrigens dichtete er meist deutsch und verfaßte nur die Grundzuletts in der Universalsprache.
    „O große Aromasia“, rief er jetzt, „des vierundzwanzigsten Jahrhunderts erhabenste Ododistin! Ihnen gehört der Schwingungszustand meiner Gehirnzellen, Ihnen bebt jede Nervenfaser meines Rückenmarks! Wie die Flur den durch die mit Wasserdämpfen gesättigte Morgenluft stark absorbierten Sonnenstrahlen entgegenseufzt, so zittern nach den Düften Ihres Ododions die zarten Häute meiner Nase!“
    „Magnet“, erwiderte Aromasia, mit dem Finger drohend, „seien Sie nicht unartig! Sie vergessen wieder, was wir ausgemacht haben – Ihre Anbetung ist gestattet, aber in geziemenden Grenzen. Sie verdienten wirklich, daß Ihnen mein Bräutigam einen Regenguß über den Hals schickte. Ich will Oxygen darum bitten!“
    „Grausame! Ich fürchte keine Kondensation – die lebendige Kraft meines heißen Blutes wird die Wassermolekel auseinandertreiben.“
    „Warten wir das ab! Übrigens wissen Sie selbst, wie sehr Sie übertreiben. Ihre Schmeicheleien müssen mir wie Spott klingen, denn ich kenne zu gut meine schwachen Kräfte, welche die Ideale meiner Nase nicht erreichen. Wo bleibt die Gedankentiefe eines Riechmann in meinem Gedüftel. Riechen {2} Sie hier diesen einfachen Übergang vom aromatischen Drei-Duft durch den halben Mollgeruch in die Schlußozodie. Was liegt nicht alles in diesem einfachen Zuge!
    Kraft, Todesmut, Stärke, Stiergebrüll, die ganze Geschichte der Erfindung des elektromotorischen Schnellwagens, Menschengröße, Gewitter, Winzertanz und sogar die Elemente der Kometenbahn von neunzehnhundertachtzig. Das kann aber auch nur ein Richard Riechmann.“
    „Sie sind zu bescheiden. Haben doch auch Sie schon die Überwindung des Materialismus durch den Kritizismus und die Vollendung des Nikaragua-Kanals auf dem Ododion dargestellt.“
    „Es sind schwache Versuche! O Magnet, wann wird uns der Meister erstehen, welcher das Geruchsdrama der Zukunft schafft! Riechmann? Ihm mangelt die gestaltende Kraft der Sprache – ach, Magnet, warum sind Sie kein Duftkünstler?“
    „Weil ich leider nur ein Dichter bin, aber ein schlechter. Doch nicht in der Zukunft dürfen Sie unsere Ideale suchen, greifen Sie zurück in die Vergangenheit.“
    „Ich bitte Sie, Shakespeare, Goethe …“
    „Viel zu veraltet, nein – aber Anton Feuerhase und sein Trauerspiel ‚Die letzte Lokomotive’! Das ist Poesie! Denken Sie an die Schlußszene mit der Musik von Brummer – die Ododionbegleitung ist, glaub’ ich, von Stinkerling –, wie der Kessel platzt, der unselige Lokomotivführer, der im Zwiespalt der Pflichten zwischen der Rettung des Publikums und des Eigentums der Bahnverwaltung untergeht, in die Luft geschleudert, mitten zwischen den Trümmern, unterdonnert zu den Waggons.
     
    Vergebens, Dampf, daß du den Atem hemmst!
    Der Eilzug stürzt! Ade, mein Bein! Bremst! Bremst!
     
    Wenn dann der Vorhang fällt und die Musik das Geräusch der Bremsen noch nachtönen läßt, dann erst fühlt man, was die Dichtkunst vermag. Und mir gelingt es nicht einmal, ein armseliges Grunzulett ins Deutsche zu übertragen.“
    „Aber es gelingt Ihnen, so manches Gemüt zu erheben über die Gewöhnlichkeit des Lebens und sich unabhängig zu fühlen vom verwirrenden Urteil der Menge. Und das ist es, was ich an unserer Kunst preise.“
    „Nicht alle werden es Ihnen zugeben. Die Partei, welche sich den Namen der ‚Nüchternen’ gegeben hat, behauptet, daß nur durch die Bildung des Verstandes ein Fortschritt der Menschheit möglich sei; daß die intellektuelle Entwicklung, wie sie die Emanzipation von der

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