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Traumkristalle

Traumkristalle

Titel: Traumkristalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurd Laßwitz
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der großen Duftmeister sollt mir die schleichende Stunde verkürzen und meine Seele in die Regionen wunschlosen Wahnes tragen!“
    Sie trat auf die Versenkung und befand sich wenige Augenblicke später in ihrem geschmackvoll eingerichteten Zimmer. Ein Instrument in der Gestalt eines Pianinos stand in der Mitte. Sie öffnete den Deckel und griff in die Klaviatur des Ododions; bald schwelgte sie in den Wonnedüften einer Phantasie von Riechmann, und harmonische Wohlgerüche durchströmten das Zimmer.
    Das Ododion (von σδωδη, der Geruch) oder Geruchsklavier wurde im Jahre 2094 von einem Italiener Namens Odorato erfunden und im Laufe der Zeit, entsprechend den Fortschritten der Chemie, bedeutend vervollkommnet. Das Instrument unserer Künstlerin war aus einer deutschen Fabrik und zeichnete sich durch seinen großen Umfang an Gerüchen aus; es reichte von dem als unterste Duftstufe angenommenen dumpfen Keller- und Modergeruche bis zum Zwiblozin, einem erst im Jahre 2369 entdeckten äußerst zarten Odeur. Jeder Druck auf eine Taste öffnete einen entsprechenden Gasometer, und künstliche mechanische Vorrichtungen sorgten für die Dämpfung, Ausbreitung und Zusammenwirkung der Düfte.
    Nachdem man die Musik auf einen solchen Höhepunkt der Vervollkommnung gebracht hatte, daß das Ohr unmöglich mehr ertragen konnte, hatte man seine Aufmerksamkeit der so sehr vernachlässigten Nase zugewandt. Die Feinheit des Geruchsorgans war freilich bei der Menschheit in der Rückbildung begriffen; aber warum sollte man diese nicht steuern können? Kein anderer Sinn wirkt gleich lebhaft auf unsere Ideenassoziation wie der des Geruchs; es lag nahe, ihn künstlerisch dazu zu verwerten, bestimmte Vorstellungen und Empfindungen in uns hervorzurufen. Man studierte die Eigentümlichkeiten und Wirkungen der Gerüche, fand die Gesetze ihrer Harmonie und Disharmonie, anfänglich auf empirischem, später auch auf theoretischem Wege, die Chemie stellte immer wohlfeiler die notwendigen Arome her, und nachdem das Ododion erst als Kuriosum gezeigt und auf Rundreisen durch die Städte von aller Welt angestaunt worden war, bürgerte es sich bald in den Familien, im Privatkreise ein.
    Die größten Duftmeister, zuerst Naso Odorato, dann Stinkerling, Frau Schnüffler, Riechmann, Aromasias Eltern selbst, Herr Duftemann und Frau Ozodes, eine Griechin, leisteten Ododionpiecen, welche den Tonwerken der größten Musiker dreist an die Seite gestellt werden konnten, und bald war das Ododion, das namentlich in seiner Verbindung mit der menschlichen Stimme hinreißend wirkte, so in allen Häusern eingebürgert wie vor fünf Jahrhunderten das Klavier. Töchter und Söhne räucherten in ihren Mußestunden darauf herum, und die Nachbarn klagten und jammerten über die Stümperei, die Geruchsüberladung und Nasenmarter gerade so, wie man früher über das Flügelspiel und die Ohrenquälerei herzog.
    Aromasia Duftemann Ozodes aber war eine Künstlerin im wahren Sinne des Worts. Ihre Duftakkorde umstrickten die Seele mit Allgewalt. Springauf, Flieder und Rosen führten die Träume in die holde Zeit des Sommers und der jungen Liebe; aber allmählich verschwimmen diese Düfte, wir glauben vor verwelkten Blumen zu stehen, und ein Gemisch von Jasmin und Schnittlauch durchzieht das Gemüt mit unendlicher Wehmut. Und nun aus der Ferne, durch diese Wehmut hindurch, riechen wir den Hohn, den Leichtsinn des Treulosen im Dufte des Weines; mehr und mehr umhüllen uns Alkoholdämpfe – da, wie ein Aufschrei des Entsetzens, ein Mißgeruch! Pulver ist es, dann dunkle Grabesluft … Noch einmal im unendlichen Schmerz erheben sich die Duftakkorde, dann verduften sie in stiller Resignation …
    Aromasia ließ die Hand sinken. Da fühlte sie dieselbe ergriffen und mit heißen Küssen bedeckt.
    Magnet Reimert-Oberton war unbemerkt zum Fenster herein luftvelozipediert und zu ihren Füßen niedergesunken. Noch bebte seine Seele im Nachgefühl des Spieles Aromasias.
    Magnet führte wie alle Leute einen Doppelnamen. Der rechtlichen Gleichstellung der Frauen gemäß behielten die Kinder sowohl den Namen der Mutter als den des Vaters; verheirateten sie sich, so ließen die Töchter den Namen des Vaters, die Söhne den der Mutter fort und nahmen dafür den des Gemahls hinzu.
    Reimert-Oberton war ebenfalls Künstler, und zwar Dichter. Nach unseren Begriffen würde man ihn als einen unerträglichen Realisten bezeichnen, dem damaligen Zeitalter aber galt er nicht nur als ein übermäßiger

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