Traumkristalle
„Hast du etwas zu bemerken?“
„Tick-tack“, sagte der Zähler wieder gleichmäßig. „Ich habe mich nur verwundert. Die Menschen waren vergnügt, sagst du, und der Wagen soll die Arbeit sein, sagst du, und die Arbeit soll etwas Schreckliches sein? Das scheint mir Unsinn, geistreichstes der Glühlichter. Was sagst du dazu?“
„Die Menschen sind doch nicht der Wagen, das sag’ ich, alter Pedant. Und außerdem verstand ich überhaupt die Sache nicht. Ich wollte eben Auskunft über die Arbeit haben und dachte, der Wagen könnte sie geben.“
„Hättest du nur mich gefragt“, sagte der Zähler weise. „Ich hab’s nämlich jetzt begriffen. Ich will dir sagen, was die Arbeit ist – die blauen Hefte dort sind es. Merkst du nicht, wie der Mensch jetzt von seinem Büchlein aufsieht, wie er nach der Uhr schaut und scheue Blicke nach den blauen Heften wirft? Du aber, wie konntest du so dumm sein und die Warnung vor der Arbeit verachten?“
„Rede nur klug, jetzt, nachdem ich dich belehrt habe. Ich hatte eben keine Scheu mehr vor der Gefahr, in die Knechtschaft der Menschen zu geraten – gestört war ich doch in meinen Spielen – ich wollte einmal wissen, was es mit dieser Arbeit auf sich habe, ob sie mich denn wirklich bezwingen kann –“
Der Mensch war aufgesprungen, er schritt unruhig durchs Zimmer. Schon fürchtete die Lampe, er wolle sie ausschalten. Dann aber setzte er sich wieder und stützte den Kopf in die Hand. Die Lampe konnte in ihrer Erzählung fortfahren:
„Heftiger ballt’ ich die Wolken und drückte sie an der Bergwand hinunter, während der Wagen heraufkroch, in meinen Nebel herein. Sammeln wollt’ ich mich, um mit voller Kraft in den Wagen und die Menschen darin hinabzuschlagen. Aber es erging mir wieder merkwürdig; in der Nähe des Drahtes schien meine Kraft zu erlahmen, meine Wolken verloren ihre Spannung. Doch mehr und mehr wälzt’ ich herbei oben von den Eishöhen, und nun, nun fühlt’ ich mich stark genug – ich schnellte mich hinab, und mit Donnergekrach stürzt’ ich mich auf den Wagen.
Da – was war das? Ich meinte, Wagen und Menschen zu zerschmettern, statt dessen merkt’ ich nur, wie drinnen im Wagen ein Licht aufblitzte – ich sah bloß noch, daß die frechen Menschen lachten, aber in den Wagen könnt’ ich nicht dringen. Auch an dem Drahte konnte ich mich nicht halten, ich glitt an ihm entlang, ich geriet in eine hohe Halle, drin drehten sich wirbelnde Räder – ich gedachte sie zu zerschlagen, doch ich geriet in eine Falle – in der Halle prasselte und knatterte es, Funkengarben sprühten, Rufe ertönten, ein Mensch sprang hinzu und warf einen Handgriff herum. – Ich fühlte mich zerrissen, meine Kraft erlahmte.-----Ich wollte hinabfliehen zur Mutter Erde und konnte nicht, ich wollte wieder hinaufspringen zu den Wolken, die in meilenweiter Ferne schwebten, ich könnt’ es nicht. Ich war gefesselt, gefesselt an wirbelnde Kupferstücke, an dunkle, lange Drähte – ich war kein Blitz mehr-----so ward ich gefangen, unterworfen den Menschen –“
„Tick-tack, Tick-tack“, sagte der Zähler.
„Ja du langweiliges Zählwerk, du Marterkasten, du gehörst zu meinen Peinigern! Abgemessen werd’ ich, und wenn sie die Lampen einschalten, muß ich glühen.“
„Was ist da weiter?“ sagte der Zähler. „Du hast immerhin eine recht nützliche Beschäftigung und eine angenehme Abwechslung, du hast es viel besser als ich, und ich bin doch ganz zufrieden.“
„Du weißt nichts anderes und wirst mich nie verstehen! Jetzt kenn’ ich das Schreckliche, die Arbeit. Nicht daß ich glühe, aber daß ich es muß, das ist es! Muß, Muß! O wie das tut.“
„Muß! Muß!“
Ein dumpfes Stöhnen. Der Mensch war es, der so stöhnte.
„Siehst du, der Mensch muß auch!“ tröstete das Zählwerk.
„Das ist es ja, daß ich sein Los teilen muß, und doch ist er mein Herr. Wie kommt er dazu, mich zu zwingen, mich, den freien Geist des Äthers, die ungeborene, unvergängliche Kraft des Alls, wie kann er mich zwingen zu arbeiten und muß es doch selbst?“
„Muß?“
Der Mensch richtete sich auf. Er schob die Papiere und das kleine Buch zur Seite und griff nach den blauen Heften.
„Siehst du“, sagte das Zählwerk wieder, „wie ich recht habe?“
Der Zähler tickte, die Lampe glühte, sie mußten –
Der Mensch aber griff zur Feder und sprach zu sich:
„Ich will!“
Bis zum Nullpunkt des Seins
Erzählung aus dem Jahre 2371
I DAS
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