Traumland der Ambe
wollte das nicht! Aber wer konnte sich diesen Wunsch schon erfüllen?
Niemand – außer mir.
So war es, es konnte nicht anders sein. Als ich das erkannte, konnte ich tief unter meiner verhärteten Gesichtsmaske lächeln.
Es ging mit mir bereits dem Ende zu, als Prysca mir den Besuch der Zaubermutter Zahda ankündigte. Sie tat das in dem Bestreben, meine Lebensgeister zu wecken und mir neue Hoffnung auf Genesung zu machen. Die Gute, sie wußte nicht, daß ich mit diesem Leben bereits abgeschlossen hatte.
Meine Zaubermutter trat ein, kam an mein Lager und setzte sich so an meine Seite, daß sie sich im Blickfeld meiner starren, verhornten Augen befand. Sie ergriff meine beiden verhärteten Hände, ohne sie jedoch bewegen zu können. Ich war bereits brettsteif.
Zahda sah mir tief in die Augen, und ich war sicher, daß sie bis auf den Grund meiner Seele blicken konnte. Würde sie auch verstehen können?
Ich hatte das alles schon einmal erlebt. In einem meiner Träume. Damals hatte ich mich selbst durch Zahdas Augen gesehen. Schlummerte etwas davon in der Erinnerung der Zaubermutter?
Sie nahm ihr Regenbogen-Barett ab, und die Fülle ihres ergrauten Haares ergoß sich über ihre schmalen Schultern. Ihr Blick zog sich aus meiner Seele zurück, und nun waren ihre Augen voll Güte und Verständnis.
Im Hintergrund sagte Prysca, und ich sprach die Worte im Geiste mit, denn ich kannte sie aus dem Traum:
»Sie ist eine wertvolle Träumerin, die von Fronja die Kraft bekommt, zukünftige Geschehnisse vorauszusehen…«
Erinnerte sich Prysca nicht, daß ich ihr diesen Wortlaut bereits vorgesagt hatte? Oder hatte ich ihr damals diese Worte nur in den Mund gelegt, so daß sie sie jetzt einfach wiederholte? Nahmen solcherart Wahrträume die Zukunft vorweg, oder beeinflußten sie sie? Egal, Prysca sagte genau dieselben Worte wie in meinem Traum:
»… Und Fronja hat sie auch Einzelheiten über ihr zukünftiges Schicksal wissen lassen. Ehrenwerte Mutter, kannst du sie nicht retten?«
Zahda schüttelte den Kopf und öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Ich wartete gespannt auf ihre Äußerung, denn an dieser Stelle hatte mein Traum geendet. O weises, gnädiges Schicksal, das mir ein wenig von meiner Zukunft vorenthielt, so daß ich sie zum erstenmal und unbelastet erleben durfte.
Zahda sagte:
»Ambe hilft sich selbst. Es verhält sich so, wie du sagtest, Prysca. Die Träume waren Ambe zu schwer, so daß sie keinen anderen Ausweg als diesen sah, ihnen zu entkommen.«
»Aber was für eine Art der Flucht ist das?«
»Sie benützt dafür die Hilfe von Gevatter Tod«, antwortete die Zaubermutter und zeigte damit, daß sie meine Lage richtig erkannt hatte. »Ambe stirbt äußerlich, um sich innerlich zu erneuern. Niemand kann ihr da beistehen. Man muß sie sich selbst überlassen.«
»Wir sollen einfach… warten?« Die Zaubermutter erhob sich von meinem Lager. Meine Augen waren bereits derart verhornt, daß ich sie nur noch verschwommen wahrnehmen konnte.
»Nichts anderes könnt ihr tun«, sagte Zahda, »als abzuwarten, was aus ihr wird. Wenn du dennoch etwas für sie tun willst, dann nimm sie mit nach Gavanque, damit sie in deiner Obhut bleiben kann.«
»Und wie lange wird sie diesen Zustand beibehalten, meine Mutter?«
»Wer kann das schon sagen? Vielleicht für ein paar Tage, vielleicht für Jahre oder sogar für die Dauer eines Großkreises. Möglicherweise für immer. Nur Ambe selbst könnte uns darüber Auskunft geben – und vielleicht nicht einmal sie selbst.«
3.
Die Bilder lösten sich auf, die lautlose Stimme in Mythors Kopf verklang. Für einen Augenblick hatte er noch das Gefühl, in Ambes Puppe eingeschlossen zu sein und erst allmählich aus ihr zu entweichen. Es mußte so gewesen sein, daß sein Geist für unbestimmbare Zeit vom Körper getrennt gewesen war und sich mit jenem der Ambe vereint hatte. Anders war es nicht zu erklären, daß er so unmittelbar an Ambes Werdegang teilnehmen konnte.
Allmählich fand er in die Wirklichkeit zurück. Ambes Puppe war nun wieder nur eine leere Hülle in einem Dornengeflecht. Er sah sich nach seinen Kameraden um, und als er ihre Blicke kreuzte, erkannte er, daß sie dasselbe wie er erlebt hatten. Nur Scidas Augen wich er aus. Die Amazone zuckte gleichgültig die Schultern und wandte sich ab.
»Wir haben nur Ambes ersten Lebensabschnitt miterlebt«, erklärte Lankohr. »Es muß noch eine zweite Puppe geben, die uns über ihr weiteres Schicksal berichten
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