Traumlawine
einen ganzen Mond lang unterwegs zu sein«, grinste Nexapottl. »Wenn du so weitermachst, wird bald jeder wissen, was du vorhast.«
»Warum hilfst du mir dann nicht?«
»Selbstverständlich begleite ich dich, mein Freund. Mythor soll nicht glauben, daß du es auf Glair oder gar Fronja abgesehen hättest.«
Es kam höchst selten vor, daß Sadagar sprachlos war. Diesmal aber brachte er kein Wort hervor.
*
Sie hatten versucht, mit Lanzen die gebrochenen Rippen zur Seite zu stoßen, hatten Carlumen auf diese Weise aber nicht einmal um die Breite zweier Finger bewegen können.
Nun ließen sie sich an langen Seilen, die an den Barrikaden verankert waren, in die Tiefe. Berbus war der erste, ihm folgten Agon, Lonsa und zwei Amazonen.
Der grüne Schimmer ringsum, der zunehmend deutlicher wurde, verbreitete einen Hauch von Beklemmung. Selten genug bekam man in der Schattenzone diesen Farbton zu sehen, der gemeinhin Sinnbild blühenden Lebens war.
Gut zwei Schritte durchmaß jede Rippe und ließ erahnen, welch gigantisches Tier der Schattenwal gewesen sein mußte.
Berbus hielt sich nicht lange mit solcherart Betrachtungen auf, sondern verknotete ein freies Tauende unmittelbar über einer der Bruchstellen. Der Pflanzenwuchs machte die Knochen schlüpfrig, und es fiel schwer, einen sicheren Stand zu finden. Wer den Halt verlor, würde in den dünnen Luftschichten unweigerlich abstürzen. Erst in einiger Entfernung trieben Schwaden schwerer Luft dahin.
Mit ihren Schwertern hieben sie auf die Rippe des Schattenwals ein. Die Klingen drangen aber nur wenige Fingerbreit in den Knochen ein. Es wäre sicherlich leichter gewesen, einen uralten Baumriesen zu fällen, als dieses Hindernis zu beseitigen.
Schon bald waren die Schwertkämpfer schweißüberströmt. Bis dahin hatten sie erst eine gut zwei Fuß tiefe Kerbe geschlagen. Überreste des Knochenmarks quollen aus der Öffnung hervor und verklebten die Schneiden.
Berbus gab das Zeichen, daß man auf Carlumen das Seil straffen sollte. Knirschend neigte sich die Rippe, brach aber nicht vollends, wie der Hepton gehofft hatte. Wuchtige Hiebe vergrößerten die Kerbe, doch plötzlich erfüllte ein bösartiges Zischen die Luft.
Zwei ellenlange Würmer schnellten sich auf Agon und verbissen sich in dessen Waffe. Ehe er sich von der Überraschung erholt hatte, wimmelte es um ihn her von angriffslustigen Geschöpfen.
Eine der Amazonen schrie auf. Auf den schleimigen Absonderungen der Würmer ausrutschend, stürzte sie vornüber. Zwar fand sie Halt an den Wirbelknochen, doch ehe sie sich wieder aufrichten konnte, waren die Angreifer über ihr.
*
Sie legten eine längere Rast ein, um Nuell Gelegenheit zu geben, von sich selbst zu berichten. Viel war allerdings nicht zu erfahren. Der Mann aus dem Land der Wilden Männer erweckte zeitweise den Eindruck, nicht mehr Herr seiner Sinne zu sein. Dann begann er zu zittern, erkannte seine Umgebung nicht mehr, und ein Ausdruck grenzenloser Furcht zeichnete sich in seinen Augen ab.
»Wenn wir wenigstens herausfinden könnten, was mit ihm geschehen ist«, meinte Mythor. »Es ist, als stritten sich zwei Seelen in seiner Brust.«
»Irgendein schreckliches Erlebnis«, meinte Glair. »Vielleicht weiß sein Begleiter mehr.« Sie deutete landeinwärts, in die Richtung, in der noch vor kurzem Rauch aufgestiegen war.
»Eigentlich sind wir nicht deswegen nach Sargoz gekommen…«
»Aber wir haben genügend Zeit zur Verfügung. Und womöglich steht Nuells Verhalten in Zusammenhang mit dem DRAGOMAE-Kristall, den Glair gesehen hat.«
Sie setzten ihren Weg fort und erreichten den Boden des Talkessels, der von fruchtbarem Erdreich bedeckt war. Es wurde merklich wärmer. Kein Windhauch regte sich.
Trotzdem lag ein leises Wispern in der Luft.
Mythor blieb stehen. Ihm war, als hätte er ein Flüstern vernommen, das ihm galt.
Aber da war niemand, und die beiden Frauen schienen nichts bemerkt zu haben. Nur Nuell hielt den Kopf schräg, als lausche er angespannt. Seine Haltung begann sich zu verändern, die Furcht wich aus seinem Blick.
Wieder hörte Mythor das Flüstern.
Diesmal wurden auch Fronja und Glair darauf aufmerksam. Eine wesenlose Stimme sprach zu ihnen.
Eine andere Bezeichnung dafür zu finden, fiel schwer. Am ehesten war es noch so, als sähe man durch die Augen eines Fremden.
Fremd…?
Irgendwie erkannte Mythor, daß es Nuells Leben war, an dem er nun teilhatte. Er, der aus dem Land der Wilden Männer kam, wollte Großes vollbringen.
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