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Traumlawine

Traumlawine

Titel: Traumlawine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Haensel
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Schattenwal noch ungeahnte Kräfte innezuwohnen, die es ihr schwermachten, freizukommen.
    Ein halbes Dutzend scharfer Klingen bohrte sich in die zweite Rippe.
    »Haltet euch an den Seilen fest«, rief Berbus warnend.
    Ein Krachen hoch über ihnen. Carlumen löste sich, trieb langsam davon. Scharfkantige Knochensplitter schlugen überall auf. Einer davon bohrte sich in den Oberarm einer Amazone.
    Jedes Zögern genügte, um Carlumen für immer entschwinden zu sehen. Das Tau, an dem sie sich hochziehen wollte, entglitt der Kriegerin. Aber ehe sie es sich versah, wurde sie in der Leibesmitte umfaßt und verlor den Boden unter den Füßen.
    »Halte dich an mir fest«, befahl Berbus.
    Die Fliegende Stadt wurde schneller. An den Barrikaden begann man damit, die Seile einzuholen. Dennoch war das Skelett des Schattenwals längst zurückgeblieben, als endlich wieder alle festen Boden unter den Füßen hatten. Abgesehen von etlichen Bißwunden und Verbrennungen war der Zwischenfall glimpflich verlaufen.
*
    Vor ihnen lag ein phantastisches Bauwerk, das so wenig in die Schattenzone zu gehören schien wie ein Fisch aufs Trockene. Ein Hauch von Frieden strahlte davon aus und eine anheimelnde Wärme, die Mythor unwillkürlich zum Weitergehen veranlaßte.
    Er wandte sich nicht nach Fronja um. Instinktiv wußte er, daß sie ihm ohnehin folgte.
    Den Blick auch nur für einen Lidschlag abzuwenden, fiel schwer. Unzählige Erker und Türmchen umgaben die Burg mit jener Verspieltheit, die das Herz schneller schlagen ließ. Efeu wucherte an den Mauern aus weißem Sandstein, und aus den vielen Fenstern fiel heller Lichtschein und brach sich in einem kleinen, kristallklaren See, über den sich in diesem Augenblick eine Zugbrücke herabsenkte.
    »Wasser!« hörte der Kometensohn Glair murmeln. Das war eine der Kostbarkeiten der Schattenzone, kaum minder begehrt als das lebenswichtige Salz.
    Krachend schlug die hölzerne Zugbrücke auf. Aber niemand zeigte sich, um die Ankömmlinge willkommen zu heißen.
    Mythor konnte in einen weiten, sauberen Burghof sehen. Außer einigen schweren, mannshohen Feuerschalen, in denen helle Flammen loderten, war er leer.
    »Wir sollen eintreten.« Fronja umklammerte Mythors Handgelenk, als scheue sie sich plötzlich vor einer Entscheidung.
    Es war Glair, die als erste an den Rand des Sees trat, doch das Wasser kräuselte sich, als fahre ein jäher Windstoß über die eben noch unbewegte Oberfläche hinweg.
    »Ich kann nichts erkennen«, gestand die Wetterhexe. »Aber da ist etwas…« Sie unterbrach sich mitten im Wort.
    Auch Mythor und Fronja hatten die Bewegung wahrgenommen. Eine der vielen Pflanzen ringsum war ihnen jetzt näher als zuvor.
    Ein Gefühl veranlaßte den Sohn des Kometen, sich umzuwenden. Unmittelbar hinter ihm standen zwei dieser seltsamen Geschöpfe. Er wußte sofort, daß es keine Pflanzen waren, ohne jedoch sagen zu können, woher er dieses Wissen bezog.
    Am ehesten waren sie großen Wurzelstöcken vergleichbar.
    »Wie Alraunen«, flüsterte Fronja.
    Von allen Seiten huschten diese Wesen heran, die weder Gesichter noch überhaupt erkennbare Sinnesorgane besaßen. Ihre milchig graue Haut war von einem Netzwerk feinster purpurner Äderchen durchzogen, und sie bewegten sich auf ihren dünnen Wurzeln flinker, als ein Mensch es vermocht hätte. Die Vielzahl dieser Auswüchse schien ihnen Arme, Hände und Beine zugleich zu sein.
    Die von der Burg ausgehende Wärme haftete auch diesen Wesen an.
    »Wir sind Freunde«, sagte Mythor.
    Die Alraunen schienen des Sprechens nicht kundig, gaben nicht einmal Laute von sich. Dennoch nahmen sie sich der drei Besucher an, indem sie ihr feinnerviges Wurzelwerk nach deren Händen ausstreckten und sie mit sich führten. Mythors anfängliches Sträuben verflog schnell. Er begann sich zu fragen, weshalb er nicht sofort erkannt hatte, daß die Drynen auf der Seite des Guten standen.
    Drynen nannten sich diese Wesen. Mythor wußte nicht, woher er den Namen kannte. Es war, als würden sie selbst es ihm mitteilen. Das und noch vieles andere mehr.
    Sandten sie ihm ihre Träume, wie Fronja es vor nicht allzu langer Zeit ebenfalls getan hatte?
    Es sind keine Träume, wurde ihm bewußt.
    Die Drynen führten sie über die Zugbrücke. Im Wasser gewahrte Mythor Spiegelungen, die seine innersten Empfindungen zu offenbaren schienen. Er erschrak.
    Fürchtest du dich vor dem Abbild deiner Seele? Du nennst dich Sohn des Kometen und kennst dich selbst noch lange nicht.
    Alles

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