Traumlawine
zuckte jäh zusammen, als er unerwartet angestoßen wurde.
Nexapottl, der Königstroll, den Sadagar früher stets als seinen Schutzgeist angerufen hatte, grinste über das ganze Gesicht.
»Du sprichst von Mythor?«
»Von wem sonst.« Der Steinmann reagierte ärgerlich – aber nur, weil er über sich selbst wütend war.
Nexapottl zuckte mit den Schultern.
»Mag sein, daß deine Furcht begründet ist. Doch es gibt ein Wort in Ugalien, und dieses Wort lautet: ›Jeder schmiedet sein Glück selbst‹.«
»Ja«, nickte Sadagar. »Womöglich hast du recht damit. Aber ausgerechnet Fronja und Glair.«
»Mythor ist nicht mehr der stürmische Weltverbesserer, als den wir ihn einst kennengelernt haben. Spätestens sein Aufenthalt in Vanga hat ihn reifen lassen. Er ist abgeklärter, hat nicht nur hervorragend gelernt, mit dem Schwert umzugehen, sondern weiß auch abzuwägen, was in bestimmten Situationen zu tun ist.«
»Trotzdem«, beharrte der Steinmann. »Ich werde ihm folgen.«
Nexapottl winkte ab.
»Bis Carlumen wieder in die Nähe von Sargoz kommt, dürfte es für dich längst zu spät sein, um noch irgendwie Einfluß auf das Geschehen zu nehmen.«
Jetzt lachte Sadagar.
»Ich habe keineswegs vor, so lange zu warten. Unsere Fliegende Stadt wird bald das ebene Sargoz passieren. Es dürfte ein leichtes sein, von dort aus über die Landbrücke auf die andere Hälfte hinüberzuwechseln.«
*
In aller Heimlichkeit begann Steinmann Sadagar damit, ein kleines Drachenboot für sein Vorhaben auszurüsten. Ein prallgefüllter Wasserschlauch, etwas Dörrfleisch und einige Brotfladen wurden unter der Ruderbank versteckt. Zusätzliche Waffen benötigte er keine. Ihm reichten seine Wurfmesser.
Fünfmal war das Stundenglas gewendet worden, seit Mythor und die beiden Frauen Carlumen verlassen hatten. Sadagar wäre bereit gewesen, sogar seinen Kopf zu verwetten, daß der Sohn des Kometen drauf und dran war, sich enorme Schwierigkeiten einzuhandeln. Er erschrak, als plötzlich ein grüner Schimmer auf ihn fiel.
Das Leuchten kam von außerhalb der Fliegenden Stadt. Da war eine mächtige, gewölbte Säule, weiß wie brüchiger Marmor, und sie war überwuchert von Flechten und Moosen, die diesen seltsamen Schimmer absonderten. Sadagar mußte den Kopf weit in den Nacken legen, um erkennen zu können, daß sie sich zu ihrem Ende hin verjüngte. Und da waren weitere, noch größere. Zwei Männer hätten sie zusammen nicht umfangen können.
Aufgeregte Schreie wurden von allen Seiten laut. Sadagar sah zu, daß er aus der Nähe des Drachenboots verschwand, bevor ihn jemand hier entdeckte. Immerhin glaubte er nicht, daß man sein Vorhaben gutheißen würde. Und wenn… Als einzelner konnte er sicher mehr ausrichten als eine halbe Heerschar. Zudem war er im Umgang mit Frauen erfahren. Er dachte an die runenkundige Fahrna, mit der er vor wenigen Jahren zusammengewesen war. Wer mit ihr fertig geworden war, vermochte es mit jeder aufzunehmen.
Der Steinmann hatte die Wehr erreicht und blickte an den Palisaden entlang in die Tiefe. Auch dort erstreckten sich die Säulen noch etliche Dutzend Schritte weit und schlossen die Schwammscholle halbkreisförmig ein. Auf der anderen Seite von Carlumen war es dasselbe.
Ein heftiger Stoß erschütterte die Fliegende Stadt. Dann drehte sie sich. Sadagar erkannte es daran, daß die Säulen, an denen sie eben vorübergeglitten waren, sich seitlich wieder in sein Gesichtsfeld schoben.
Ein zweiter Ruck folgte kurz danach. Carlumen holte über. Abrupt endete die Fahrt. Dann war nur noch ein leises Knistern zu vernehmen.
Sadagar lief zur Stadt hinauf. Vom Fuß des Turmes aus konnte er erkennen, daß zwei der Säulen quer lagen und den Weg versperrten.
Endlich vermochte er das Hindernis in seiner vollen Ausdehnung zu überblicken. Es erinnerte ihn an das Skelett eines verendeten Tieres. Was er eben noch für künstliche Gebilde gehalten hatte, schienen Rippen zu sein, denn sie vereinten sich gut fünfzig Schritte unter Carlumen, und wie ein Wegweiser ins Ungewisse, führte dort eine endlos scheinende Reihe ebenfalls gebleichter Wirbelknochen in Flugrichtung weiter.
»Die Überreste eines Schattenwals«, sagte Nexapottl. »Die Waisen wollen versuchen, die gebrochenen Rippen zu entfernen.« Sadagar hatte den Königstroll nicht kommen hören.
»Wie gehen deine Vorbereitungen voran?«
Er kniff die Augen zusammen und musterte seinen früheren Schutzgeist.
»Du rüstest das Drachenboot aus, als gelte es,
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