Traummann mit Vergangenheit
schienen die meisten Frauen ein schlechtes Gedächtnis zu haben, was Männer anging. Nora allerdings nicht. Sie hatte ein ganz hervorragendes Erinnerungsvermögen und machte nie den gleichen Fehler zweimal.
Mrs. Gelson zahlte und wartete auf ihr Wechselgeld. In diesem Augenblick wurde die Tür aufgestoßen. Ein großer, strohblonder Mann im weißen Kittel kam herein. Nora erkannte Stephen Remington, den neuen Arzt der Stadt. Erfolgreich, Single … und überhaupt. Die Leute sangen seit seiner Ankunft Loblieder auf ihn. Sie selbst war wenig beeindruckt und fuhr weiterhin an die hundert Kilometer in die Nachbarstadt zu einer Ärztin.
Als sie ihn jetzt ansah, stellte sie zufrieden fest, dass sie trotz seiner großen haselnussbraunen Augen und seiner schlanken, attraktiven Figur immun gegen seinen Charme war.
„Männer werden hier nicht bedient“, sagte sie mit zuckersüßer Stimme. „Da müssen Sie die Straße runter zum Herrenfriseur.“
„Was?“
Sie seufzte. „Ich habe gesagt …“
Er unterbrach sie mit einem kurzen Kopfschütteln. „Ist mir völlig egal. Es ist ein Tornado im Anzug. Alle müssen in den Schutzraum.“
Ehe Nora oder sonst jemand reagieren konnte, ging die Sirene los. Nora fluchte leise und warf einen Blick auf die drei Frisiersessel. Außer ihr und den anderen Stylistinnen war niemand jünger als fünfundsechzig. Und der Schutzraum war einen halben Block entfernt.
„Jill, geh du mit Mrs. McDirmity“, sagte Nora, während sie zu den Haartrocknern rannte und schnell die Hauben hochklappte. „Komm schon, wir müssen uns beeilen.“
Während sie sprach, schwoll draußen der Lärm an: ein lautes Getöse, durchbrochen von Klirren und Krachen und Klappern, als ob um sie herum die Welt aus den Fugen geriete. In weniger als zwei Minuten waren alle auf dem Weg zum Schutzraum. Der blonde Mann hatte seine Arme um zwei der Damen gelegt. Eine von ihnen hatte noch Lockenwickler im Haar, an denen der Wind jetzt zerrte. Zum Glück wurden sie bisher nur von ein paar kleinen Ästen getroffen.
Am Eingang zum Keller wartete Rosie. Sie drängte die Menschen so schnell wie möglich nach unten in Sicherheit.
„Kommen Sie, Mrs. Gelson“, sagte Nora, während sie ihre Kundin stützte. Die Witwe stieg vorsichtig in den unterirdischen Schutzraum hinunter.
Nora war die Letzte auf der Straße. Sie sah sich kurz nach Nachzüglern um, aber entdeckte niemanden. Ihr Blick verweilte auf den vertrauten Gebäuden. Würden sie den Sturm überstehen?
Sie sandte ein Stoßgebet zum Himmel, dass der Sturm keine Todesopfer fordern würde. Als sie nach der Tür griff, konnte sie nicht anders, als innezuhalten und zurückzublicken.
Hoch aufgetürmt, schraubte sich die dunkle Wolkenfront in den Himmel. Der Lärm war ohrenbetäubend. Der Boden zitterte, der Himmel stöhnte. Nie zuvor hatte sie diese rohe Naturgewalt miterlebt. Es war überwältigend. Es war …
„Was zum Teufel machen Sie da?“, fragte eine Männerstimme. Dann schlang jemand die Arme um ihre Taille und zerrte sie ins Halbdunkel des Kellers hinunter.
Nora ließ instinktiv die Tür los, die krachend ins Schloss fiel. Sie konnte spüren, aber nicht sehen, wie jemand nach oben fasste und den Riegel vorlegte. Der Mann, der sie festhielt, fesselte ihre Aufmerksamkeit umso mehr.
Seine Arme ruhten unterhalb ihrer Brüste. Als er seine Hand bewegte, strichen seine Finger über die nackte Haut ihres Bauches. Sie zitterte. Nicht vor Kälte oder aus Angst vor dem Sturm, sondern wegen … wegen …
Nora presste die Lippen zusammen und stieß seine Arme weg. Sie wusste nicht, warum sie zitterte, und es war ihr auch egal. Sie trat einen Schritt weg von dem Mann, der sie so gründlich überrumpelt hatte. Dann drehte sie sich um.
Stephen Remington, der neue Arzt. Natürlich. Niemand sonst hätte es gewagt, sie so anzufassen.
Sie zog eine Augenbraue hoch. „Ich hätte nicht gedacht, dass ein Arzt es nötig hat, Frauen zu begrabschen“, sagte sie beiläufig und erwartete, dass er gegen diesen Angriff auf seinen guten Ruf ärgerlich protestieren würde.
Stattdessen ließ Dr. Remington genüsslich den Blick über sie gleiten, von ihren Schuhen zu den Brüsten und schließlich zu ihrem entblößten Bauch. „Und ich hätte nicht gedacht, dass eine Frau Ihres Alters es nötig hat, sich wie ein Teenager zu stylen, nur um Aufmerksamkeit zu erregen.“
„Sie missverstehen mich“, sagte sie kühl. „Ich habe kein Interesse an Aufmerksamkeit. Wenigstens nicht an
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