Traummoerder
gelähmt vor Angst. Ich will mich bewegen, aber selbst meine Zunge …« Wieder brach sie ab und schluckte, dann fuhr sie fort: »Meine Mutter hat einmal mit einem Arzt darüber gesprochen. Er meinte, es handle sich um eine Schlafparalyse.«
»Davon habe ich gehört – das ist nichts Ungewöhnliches. Erzähl weiter.«
»Ich wache starr vor Angst auf, kann mich nicht rühren – und habe keine Möglichkeit, den Schrecken meines Traums zu entfliehen. Ich bin wach und schlafe trotzdem noch. Verstehen Sie? Es ist mir bewusst, dass ich in einem schrecklichen Albtraum gefangen bin, dennoch bin ich nicht fähig, mich zu bewegen oder wach zu werden.«
Lucy warf einen Blick auf das Bildschirmfenster und war selbst überrascht, dass ihr Gesichtsausdruck so angespannt und verängstigt wirkte. Sie lächelte, um ihre wahren Empfindungen zu verbergen, und starrte auf die Silhouette des Traumheilers.
Sie hatte sich geirrt. Diese Website war beängstigend. Ausgesprochen furchterregend. Der Traumheiler jagte ihr eisige Schauer über den Rücken. Sie spürte, wie seine Aura in ihre Knochen sickerte wie Gammastrahlen aus Tschernobyl. Ohne seine Augen sehen zu können, wusste sie, dass er sie musterte.
Sekunden verstrichen. Dann sprach Lucy die reglose Gestalt direkt an: »Traumheiler, welchen Rat haben Sie für mich?«
»Ich werde dir Frieden bringen, mein Kind. Ewigen Frieden. Darauf kannst du dich verlassen. Denn ich bin bei dir und deinem Geist. Wir sind eins.«
Lucy wollte etwas entgegnen, als die Tür zu der Kammer aufgerissen wurde und der Hausmeister hereinstürmte. Lucy zuckte erschrocken zusammen. Der Laptop rutschte von ihrem Schoß. Sie grapschte danach, um ihn am Fallen zu hindern.
»Tut mir leid – bleiben Sie sitzen.« Der Hausmeister holte ein Paket mit Latexhandschuhen vom obersten Regalfach, lächelte und verschwand wieder.
Lucys Blick wanderte zurück zum Bildschirm. Zu ihrer Überraschung war wieder die Homepage, der Bosch, zu sehen. Sie klickte den Link an, um wieder Verbindung mit dem Traumheiler zu bekommen, wurde jedoch sofort wieder auf die Homepage verwiesen.
Verärgert versuchte sie einige Zeit, Kontakt aufzunehmen, aber es gelang ihr nicht. Der Traumheiler tauchte nicht mehr auf.
Sie sah auf ihre Uhr. Es wurde Zeit, wieder an die Arbeit zu gehen. Später würde sie es noch mal versuchen.
Für den Rest des Tages ging Lucy das Bild des Traumheilers nicht mehr aus dem Kopf. Irgendetwas an ihm faszinierte sie. Auch wenn sie seine Augen nicht hatte sehen können, hatte er sie in die unheimliche Cyber-Welt entführt. Dieser Mann machte ihr Angst. Andererseits war die Erfahrung eigenartig angenehm gewesen – sie kam sich vor wie ein Kind, das sich heimlich Gruselfilme ansah. Sie wusste, dass sie noch einmal mit dem Traumheiler sprechen musste. Es war wie ein Zwang.
Hätte sie geahnt, wie sich ihr nächstes Zusammentreffen gestalten würde, wäre sie auf der Stelle tot umgefallen vor Angst.
Kapitel 3
Dermot saß aufrecht im Bett und atmete schwer. Er war in Schweiß gebadet, als wäre er gerade nach einem Marathon ins Ziel gelaufen. Er vernahm das lang anhaltende Klingeln der Türglocke, als Neela aus dem Badezimmer gelaufen kam.
»Lieber Himmel, Dermot! Was ist los? Du hast geschrien. Bist du okay?« Sie nahm ihn in die Arme, während die Glocke weiter schrillte.
»Mir geht’s gut, Neela. Es war nur ein Albtraum.«
Er legte sich zurück. »Hey, kannst du zur Tür gehen? Dieser Lärm treibt mich in den Wahnsinn.«
Neela erhob sich. Das leere Gefühl der Zurückweisung machte ihr zu schaffen.
Der Radau verstummte, sobald sie den Fuß der Treppe erreicht hatte. Sie öffnete die Haustür und erhaschte einen Blick auf einen Mann mit orangerotem Haar in einem langen braunen Reitermantel; er schlurfte die Straße hinunter in Richtung Pershing Square. Gleich darauf entdeckte sie einen handgeschriebenen Flyer, der nur halb im Briefkasten steckte und in der Morgenbrise flatterte.
»Wer war das?«, schrie Dermot, der inzwischen in der Küche Kaffee machte. Neela gesellte sich zu ihm und las laut vor, was auf dem Flugblatt stand: »Verlange nie zu wissen, für wen die Glocke schlägt; sie schlägt für dich.«
»Was hat John Donne mit alldem zu tun?«
»Das steht hier, Liebling. Ein Typ hat das in den Briefkasten gesteckt. Wenigstens glaube ich, dass er es war – ich hab nicht selbst beobachtet, wie er es getan hat. Es ist handgeschrieben.«
»Du hast ihn gesehen?«
»Ja. Hauptsächlich von
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