Traumpfade
Federzeichnungen illustrierte, so malt die Aborigine-Mutter Zeichnungen in den Sand, um die Wanderungen der Traumzeit-Heroen zu illustrieren.
Sie erzählt ihre Geschichte in schnellen, abgehackten Ausbrüchen und zeichnet gleichzeitig die »Fußspuren« des Ahnen nach, indem sie mit dem ersten und dem zweiten Finger, immer einem nach dem andern, in einer doppelten punktierten Linie über den Boden fährt. Sie wischt jede Szene mit dem Handteller fort und zeichnet schließlich einen Kreis und eine Linie, die durch ihn hindurchführt – ähnlich wie ein großes Q.
Das kennzeichnet die Stelle, wo der Ahne, von den Mühen der Schöpfung ermüdet, »zurück ins Innere« gegangen ist.
Die für Kinder angefertigten Sandzeichnungen sind nur Skizzen oder »offene Versionen« von wirklichen Zeichnungen, die die wirklichen Ahnen darstellen und die nur bei geheimen Zeremonien gemalt und nur von den Eingeweihten gesehen werden dürfen. Trotzdem lernen die jungen Menschen anhand dieser »Skizzen«, sich in ihrem Land, in seiner Mythologie und seinen Schätzen zurechtzufinden.
Vor einigen Jahren, als die Gewalttätigkeit und die Trunkenheit überhandzunehmen drohten, kam ein weißer Be rater auf den Gedanken, den Pintupi Malmaterial zur Ver fügung zu stellen und sie zu veranlassen, ihre Träume auf Leinwand zu übertragen.
Als Ergebnis entstand im Handumdrehen eine australische Schule abstrakter Kunst.
Old Stan Tjakamarra malte seit acht Jahren. Sobald er ein Bild fertiggestellt hatte, brachte er es zum Desert Bookstore, und Mrs. Lacey zog die Materialkosten ab und zahlte ihm die ganze Summe sofort und in bar aus.
6
I ch mochte Enid Lacey. Ich hatte schon ein paar Stunden in ihrem Buchladen verbracht. Sie wußte sehr genau, wie man Bücher verkaufte. Sie hatte fast jedes Buch über Zentralaustralien gelesen und war bemüht, jeden lieferbaren Titel vorrätig zu halten. In dem Raum, der als Kunstgalerie diente, standen zwei Sessel für ihre Kunden. »Lesen Sie so lange, wie Sie wollen«, sagte sie. »Kein Zwang!« – wobei sie natürlich nur zu gut wußte, daß man, wenn man erst einmal in dem Sessel saß, nicht ohne zu kaufen fortgehen konnte.
Sie war eine alte »Territorianerin«, Ende Sechzig. Ihre Nase und ihr Kinn waren ausgesprochen spitz; ihr Haar war kastanienbraun, aus der Flasche. Sie trug zwei Brillen an Ketten und ein Paar Opalreifen an ihren sonnenwelken Handgelenken. »Opale«, sagte sie zu mir, »haben mir nichts als Glück gebracht.«
Ihr Vater war Manager einer Rinderfarm in der Nähe von Tennant Creek gewesen. Sie hatte ihr Leben lang mit Aborigines gelebt. Sie ließ nicht mit sich spaßen und bewunderte sie insgeheim.
Sie hatte die ganze ältere Generation australischer An thropologen gekannt und hielt nicht viel von den neuen, den »Jargonkrämern«, wie sie sie nannte. Die Wahrheit war, daß sie, obwohl sie sich anstrengte, mit den neuesten Theorien Schritt zu halten, obwohl sie sich mit den Büchern von Lévi-Strauss plagte, nie große Fortschritte gemacht hatte. Trotzdem schlug sie, wenn Aborigine-Angelegenheiten zur Sprache kamen, einen besonders feierlichen Ton an und änderte die Pronomen von »ich« zu »wir«, wobei sie nicht den Pluralis majestatis meinte, sondern das »wir«, das die gesamte wissenschaftliche Gemeinde einschloß.
Sie hatte als eine der ersten den Wert der Pintupi-Malerei erkannt.
Da sie eine gerissene Geschäftsfrau war, wußte sie, wann sie einem Maler Kredit geben, wann sie ihm Geld vorenthalten und daß sie die Bezahlung gänzlich verweigern mußte, wenn sich der Künstler in einer Saufphase befand. Wenn also einer ihrer »Boys« auf schwankenden Beinen bei Geschäftsschluß erschien – was der Öffnungszeit vom Frazer-Arms-Pub entsprach –, schnalzte sie mit der Zunge und sagte: »Du meine Güte! Ich kann den Schlüssel für die Kasse nicht finden. Du mußt morgen früh wiederkommen.« Und wenn der Künstler am nächsten Morgen wiederkam, dankbar, seinen Verdienst nicht vertrunken zu haben, drohte sie ihm grimmig mit dem Finger und sagte: »Du gehst doch nach Hause? Jetzt gleich? Nicht wahr?« »Ja, Mam!« sagte er dann, und sie gab ihm eine kleine Extrasumme für die Frau und die Kinder.
Mrs. Lacey zahlte sehr viel weniger für Bilder als Galerien in Sydney oder Melbourne, aber sie verlangte auch weit weniger für die Bilder, und die Bilder wurden immer verkauft.
Manchmal beschuldigte sie ein weißer Sozialarbeiter, die Maler zu »schröpfen« – doch auf
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