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Traumpfade

Traumpfade

Titel: Traumpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Chatwin
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kreischte die Ehefrau. »Das habe ich dir heute morgen erzählt. Das eigene Totem ißt man nicht ! Man kann getötet werden, wenn man seinen eigenen Ahnen ißt!«
    »Schatz, dieser Gentleman sagt, daß er Honigameisen ißt. Ist das richtig, Sir?«
    Stan nickte erneut.
    »Ich bin ganz durcheinander«, sagte die Frau in gereiztem Ton. »Wollen Sie damit sagen, daß die Honigameise nicht Ihr Traum ist?«
    Stan schüttelte den Kopf.
    »Und was ist Ihr Traum?«
    Der alte Mann zitterte wie ein Schuljunge, der gezwungen ist, ein Geheimnis preiszugeben, und brachte keuchend das Wort »Emu« hervor.
    »Oh, ich bin so durcheinander.« Die Frau biß sich enttäuscht auf die Lippen.
    Ihr gefiel dieser alte Mann mit dem weichen Mund und dem gelben Hemd. Ihr gefiel der Gedanke, daß die Honigameisen ihren Weg durch die Wüste träumten, während die helle Sonne auf ihre Honigbeutel schien. Sie hatte das Bild gemocht. Sie hatte es besitzen, es von ihm signieren lassen wollen, und jetzt mußte sie alles neu überdenken.
    »Vorausgesetzt« – sie sprach die Worte langsam und vorsichtig aus –, »wir hinterlegen das Geld bei Mrs. …?«
    »Lacey«, sagte Mrs. Lacey.
    »… glauben Sie, daß Sie uns einen Emu-Traum malen und uns das Bild … und daß Mrs. Lacey uns das Bild in die Vereinigten Staaten schicken könnte?«
    »Nein«, fiel Mrs. Lacey ein. »Das kann er nicht. Kein Künstler malt seinen eigenen Traum. Er ist zu mächtig. Er könnte ihn umbringen.«
    »Jetzt bin ich vollkommen durcheinander.« Die Frau rang die Hände. »Sie meinen, daß er seinen eigenen Traum nicht malen kann, sondern nur den Traum eines anderen?«
    »Jetzt hab’ ich’s«, sagte der Mann, und sein Gesicht leuchtete auf. »Er kann keine Emus essen, aber Honigameisen kann er essen?«
    »Sie haben es«, sagte Mrs. Lacey. »Mr. Tjakamarra kann keinen Emu-Traum malen, weil ein Emu sein väterliches Totem ist und es ein Sakrileg wäre, wenn er es täte. Er kann die Honigameise malen, weil sie das Totem vom Sohn des Bruders seiner Mutter ist. Das ist doch richtig, Stan? Gideons Traum ist die Honigameise?«
    Stan blinzelte und sagte: »Richtig!«
    »Gideon«, fuhr sie fort, »ist Stans Ritualmanager. Sie sagen sich gegenseitig, was sie malen können und was nicht.«
    »Ich glaube, ich verstehe«, sagte die Amerikanerin unsicher. Aber sie wirkte noch immer ziemlich verwirrt und brauchte Zeit, um ihren nächsten Gedanken in Worte zu fassen.
    »Sie sagten, daß dieser Mr. Gideon ebenfalls Maler ist?«
    »Das ist er«, pflichtete Mrs. Lacey ihr bei.
    »Und er malt Emu-Träume?«
    »Das tut er.«
    »Großartig!« Die Frau lachte unerwartet und klatschte in die Hände. »Wir könnten von jedem eins kaufen und sie nebeneinander aufhängen.«
    »Aber Schatz«, sagte der Ehemann in dem Bestreben, sie zu beruhigen. »Erst müssen wir einmal feststellen, ob dieses Honigameisenbild überhaupt zu kaufen ist. Und wenn ja, für wieviel?«
    Mrs. Lacey klimperte mit den Wimpern und sagte schalkhaft: »Das kann ich nicht sagen. Da müssen Sie den Künstler fragen.«
    Stan rollte die Augen, so daß man bloß noch das Weiße sah, und kräuselte die Lippen. Offensichtlich dachte er an eine Summe – die Summe, die er von Mrs. Lacey bekam – und verdoppelte sie. Offensichtlich war es nicht das erste Mal, daß er und Mrs. Lacey diese Nummer vorführten. Dann senkte er den Kopf und sagte: »Vierhundertfünfzig.«
    »Australische Dollar«, fuhr Mrs. Lacey dazwischen. »Natürlich kommt noch meine Kommission dazu. Zehn Prozent! Das ist nur recht und billig. Und ich muß zwanzig für Farbe und Leinwand hinzurechnen.«
    »Prozent?«
    »Dollar!«
    »Nur recht und billig«, sagte der Mann und wirkte geradezu erleichtert.
    »Es ist wirklich wunderschön«, sagte die Frau.
    »Bist du jetzt glücklich?« fragte er sie in schmeichelndem Ton.
    »Und wie«, sagte sie. »Ich bin so glücklich.«
    »Kann ich mit American Express bezahlen?« fragte er.
    »Gewiß«, sagte Mrs. Lacey. »Solange Sie nichts dagegen haben, auch deren Kommission zu zahlen.«
    »Nur recht und billig«, sagte der Mann und schluckte. »Aber jetzt will ich wissen, was los ist. Mit dem Bild, meine ich.«
    Arkady und ich schlichen uns von hinten an die Amerikaner heran und sahen, wie Old Stan mit seinem knochigen Finger auf den großen blauen Kreis auf der Leinwand zeigte.
    Es war, erklärte er, die ewige Heimstatt des Honigameisen-Ahnen in Tátátá. Und plötzlich war es, als könnten wir die Honigameisen sehen, Reihe um

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