Traumpfade
Reihe, mit ihren gestreiften, glänzenden Körpern, zum Bersten voll mit Nektar in ihren Zellen unter den Wurzeln des Mulgabaums. Wir sahen den Ring flammendroter Erde um den Eingang zu ihrem Nest und die Routen ihrer Wanderungen, bei denen sie in andere Richtungen aufbrachen.
»Die Kreise«, fügte Mrs. Lacey hilfreich hinzu, »sind die Zeremonienzentren der Honigameisen. Die ›Röhren‹, wie Sie sie nennen, sind Traumpfade.«
Der Amerikaner war in Bann geschlagen. »Und können wir uns diese Traumpfade ansehen? Da draußen, meine ich? In Ayer’s Rock, zum Beispiel? Oder an einem ähnlichen Ort?«
»Das können sie«, sagte sie. » Sie nicht.«
»Das heißt, sie sind unsichtbar?«
»Für Sie ja. Für sie nicht.«
»Und wo sind sie?«
»Überall«, sagte sie. »Soviel ich weiß, führt ein Traumpfad mitten durch mein Geschäft.«
»Wie unheimlich«, kicherte die Frau.
»Und nur sie können sie sehen?«
»Oder singen«, sagte Mrs. Lacey. »Es gibt keinen Pfad ohne ein Lied.«
»Und diese Pfade führen überallhin?« fragte der Mann. »Durch ganz Australien?«
»Ja«, sagte Mrs. Lacey und seufzte befriedigt auf, weil sie einen überzeugenden Satz gefunden hatte. »Das Lied und das Land sind eins.«
»Erstaunlich!« sagte er.
Die Amerikanerin hatte ihr Taschentuch hervorgezogen und tupfte sich die Augenwinkel. Ich glaubte einen Moment, sie würde Old Stan küssen. Sie wußte, daß das Bild für Weiße gemalt worden war, aber er hatte ihr einen flüchtigen Einblick in etwas Seltenes und Seltsames gewährt, und dafür war sie ihm sehr dankbar.
Mrs. Lacey rückte ihre Brille zurecht, um das American-Express-Formular auszufüllen. Arkady winkte Stan zum Abschied, und wir hörten das triumphierende Rrumms der Maschine, als wir auf die Straße hinaustraten.
»Was für eine Frau«, sagte ich.
»Ganz schön unverfroren«, sagte Arkady. »Kommen Sie, wir nehmen einen Drink.«
7
I ch trug Gummisandalen, und da in den privaten Bars von ganz Alice Schilder mit der Aufschrift »Keine San dalen« angebracht waren – mit der Absicht, Aborigines fernzuhalten –, gingen wir ins Frazer Arms, eine öffent liche Bar.
Alice ist keine besonders freundliche Stadt, weder bei Tag noch bei Nacht. Alteingesessene können sich noch an die Todd Street zu Zeiten der Pferde und Pferdeposten erinnern. Inzwischen ist es ein trostloser, amerikanisierter Ort mit lauter Reiseagenturen, Souvenirgeschäften und Erfrischungskiosken geworden. Ein Laden verkaufte ausgestopfte Koalabär-Puppen und T-Shirts mit dem aus Fliegen zusammengesetzten Aufdruck »Alice Springs«. Beim Zeitungshändler standen Exemplare eines Buches mit dem Titel Rot über Weiß zum Verkauf. Der Autor, ein ehemaliger Marxist, vertrat die Ansicht, daß die Landrechte-Bewegung der Aborigines eine Tarnung für sowjetische Expansion in Australien sei.
»Damit bin ich«, sagte Arkady, »einer der Hauptverdächtigen.«
Draußen vor dem Pub war ein Straßenverkauf von Spirituosen, um den die Jugendlichen, die wir vorher gesehen hatten, herumlungerten. In der Mitte der Straße ragte der Stamm eines arg mitgenommenen Eukalyptusbaums aus dem Asphalt hervor.
»Ein heiliger Baum«, sagte er. »Heilig für den Raupen-Traum, und ein gefährliches Verkehrsrisiko.«
Im Innern des öffentlichen Pubs war es laut. Der Raum war mit Schwarzen und Weißen gefüllt. Der zwei Meter große Barmann war angeblich der beste Rausschmeißer der Stadt. Auf dem Linoleumboden waren Bierlachen, an den Fenstern hingen weinrote Vorhänge, und Fiberglasstühle standen in der Gegend herum.
Ein fetter, bärtiger Aborigine saß da und kratzte die Stiche an seinem Bauch. Er hatte seine Hinterbacken auf zwei Barhocker gesetzt. Eine knochige Frau saß neben ihm. In ihrer lila Strickmütze steckte ein Bierdeckel. Ihre Augen waren geschlossen, und sie kicherte hysterisch.
»Die ganze Bande ist hier«, sagte Arkady.
»Wer?«
»Meine Freunde vom Pintupi-Rat. Kommen Sie! Ich werde Sie dem Vorsitzenden vorstellen.«
Wir bezahlten unser Bier und schlängelten uns zwischen den Gästen hindurch nach vorn, wo der Vorsitzende mit dröhnender Stimme vor einem Haufen Bewunderer eine Rede schwang. Er war ein großer, sehr dunkelhäutiger Mann. Er trug Jeans, eine schwarze Lederjacke, einen schwarzen Lederhut und einen nägelbesetzten Schlagring an seinem Handgelenk. Ein Lachen voller Zähne breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er meine Hand mit einem brüderlichen Händedruck umschloß und sagte:
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