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Traumpfade

Traumpfade

Titel: Traumpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Chatwin
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und mit einem runden, flachen, breitkrempigen Hut, saß auf einer rosa Schaumgummimatratze vor einem Kessel mit kochendem Wasser. Sein Vater – ein gutaussehender alter Mann mit sehr langen Beinen und sehr kurzen grauen Borsten auf dem Kopf – lag ausgestreckt im Sand und lächelte.
    »Ihr kommt früh«, sagte Titus feierlich. »Ich habe nicht vor neun mit euch gerechnet.«
    Seine Häßlichkeit überraschte mich: die breit auslaufende Nase, seine von Geschwulsten überwucherte Stirn, die fleischigen, herabhängenden Lippen und die Augen, die von den faltigen Lidern bedeckt wurden.
    Doch was für ein Gesicht! Noch nie hatte ich ein so lebendiges, charaktervolles Gesicht gesehen. Jeder noch so winzige Teil war unaufhörlich in Bewegung. In einem Augenblick war er ein unnachgiebiger Hüter der Aborigine-Gesetze, im nächsten ein umwerfender Komiker.
    »Titus«, sagte Arkady. »Das ist Bruce, ein Freund aus England.«
    »Wie geht’s Thatcher?« sagte er mit schleppender Stimme.
    »Immer noch da«, sagte ich.
    »Kann nicht sagen, daß mir an der Frau was liegt.«
    Arkady hielt den Moment für gekommen, den Mann aus Amadeus vorzustellen, doch Titus hob die Hand und sagte: »Warte!«
    Er öffnete das Vorhängeschloß an der Tür, ließ sie halb offen und kam mit einem blauen Emaillebecher für den zusätzlichen Besucher wieder heraus.
    Der Tee war fertig.
    »Zucker?« fragte er mich.
    »Nein, danke.«
    »Nein.« Er zwinkerte mir zu. »Sie sahen mir auch nicht danach aus.«
    Kaum hatten wir den Tee ausgetrunken, sprang er auf und sagte: »Gut so! Jetzt zum Geschäft!«
    Er gab Limpy und dem Mann aus Amadeus ein Zeichen, vorauszugehen. Dann drehte er sich um und sah uns an.
    »Und ihr«, sagte er, »ihr würdet mir einen Gefallen tun, wenn ihr eine halbe Stunde lang hier warten würdet.«
    Die trockenen Zweige knackten unter ihren Füßen, und die Männer verschwanden zwischen den Bäumen.
    Der alte Vater lag strahlend da und schlummerte ein.
    *
    Ein Tschuringa – es ist eine Wiederholung wert – ist ein ovaler Gegenstand aus Stein oder Mulgaholz. Er ist sowohl Partitur als auch mythologischer Leitfaden für die Reisen des Ahnen. Er ist der jetzige Leib des Ahnen (pars pro toto) . Er ist das alter ego des Menschen, seine Seele, sein Obolus an Charon, seine Besitzurkunde für das Land, sein Paß und seine Fahrkarte »zurück ins Innere«.
    Strehlow liefert einen herzzerreißenden Bericht über ein paar Älteste, die entdecken, daß ihr Tschuringa-Lager von Weißen geplündert wurde, und für die dies das Ende der Welt bedeutet. Er gibt eine heitere Beschreibung von ein paar anderen alten Männern, die ihren Nachbarn für eine Anzahl von Jahren ihre Tschuringas geliehen haben und die, als sie sie nach ihrer Rückgabe auspacken, vor Glück in einen schallenden Gesang ausbrechen.
    Ich habe auch einen Bericht gelesen, dem zufolge die »Besitzer«, wenn ein Liedzyklus in seiner Gesamtheit gesungen wurde, ihre Tschuringas Kopf an Kopf legten, in der richtigen Reihenfolge, wie die Reihenfolge der Schlafwagen des Train Bleu .
    Wenn man aber seinen Tschuringa zerbrach oder verlor, war man außerhalb menschlicher Grenzen und hatte alle Hoffnung auf »Rückkehr« verloren. Von einem jungen Herumtreiber in Alice hörte ich sagen: »Er hat seinen Tschuringa nicht gesehen. Er weiß nicht, wer er ist.«
    Im Gilgamesch-Epos gibt es in Form einer zusätzlichen Erläuterung eine seltsame Passage, in der Gilgamesch der König, des Lebens überdrüssig, die Unterwelt besuchen will, um seinen Freund, den »wilden Mann« Enkidu, zu sehen. Aber Utnapischtim, der Fährmann, sagt: »Nein! Du darfst diese Regionen nicht betreten. Du hast die Steintafeln zerbrochen.«
    Arkady spähte durch die Tür von Titus’ Hütte.
    »Sie dürfen auf keinen Fall hineingehen«, sagte er, ohne die Lippen zu bewegen. »Aber wenn Sie einen Blick hineinwerfen, werden Sie etwas sehen, das Sie überraschen wird.«
    Ich kauerte mich auf die Fersen und spähte hinein. Es dauerte etwas, bis sich meine Augen an das Dunkel gewöhnt hatten. Auf einer Kiste neben Titus’ Bett lag ein Stapel Bücher, englische und deutsche. Oben auf dem Stoß war Nietzsches Also sprach Zarathustra.
    »Ja«, nickte ich. »Ich bin sehr überrascht.«
    In weniger als einer halben Stunde hörten wir ein Pfeifen zwischen den Bäumen und sahen die drei Männer hintereinander auf uns zukommen.
    »Geschäft geregelt!« sagte Titus mit fester Stimme und setzte sich auf seine Matte. »Die Tschuringas

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