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Traumpfade

Traumpfade

Titel: Traumpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Chatwin
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grübelte er. »Von einem Bischof kann man meistens einen Shilling schnorren.«
    Der zweitbeste sei in den guten alten Tagen der Travellers Club gewesen. Die Gentlemen dort hätten wie er die Welt gesehen.
    »Ein Treffen Gleichgesinnter, könnte man sagen«, sagte er. »Aber heutzutage … nein … nein.«
    Der Travellers Club war nicht mehr das, was er einmal gewesen war. Von einer anderen Sorte Menschen übernommen.
    »Leute aus der Werbung«, sagte er grimmig. »Sehr knauserig, das kann ich Ihnen versichern.«
    Er fügte hinzu, daß Brook’s, Boddle’s und White’s alle zur selben Kategorie gehörten. Hohes Risiko! Großzügigkeit … oder gar nichts!
    Seine Konversationsgabe wurde stark beeinträchtigt, als sein Steak kam. Er nahm es wild entschlossen in Angriff, hob den Teller ans Gesicht, leckte den Saft ab, und dann, als er sich erinnerte, wo er war, stellte er ihn wieder auf den Tisch.
    »Möchten Sie noch eins?« fragte ich.
    »Ich würde nicht nein sagen, Kom’dant«, sagte er. »Sehr anständig von Ihnen.«
    Ich bestellte ein zweites Steak, und er ließ seine Lebensgeschichte vom Stapel. Sie war es wert. Der Bericht, je weiter er fortschritt, war genau das, was ich hören wollte: die Kate in Galway County, der Tod der Mutter, Liverpool, der Atlantik, die Schlachthöfe in Chicago, Australien, Weltwirtschaftskrise, die Südseeinseln …
    »Oooh! Das ist der richtige Ort für dich, mein Junge! Tahiti! Va-hines!«
    Er fuhr mit der Zunge über die Unterlippe.
    »Vahines!« wiederholte er. »Das ist das Wort für Frauen … Oooh! Herr-lich! Ich hab’s im Stehen unter einem Wasserfall getrieben!«
    Die Sekretärinnen verlangten die Rechnung und gingen. Ich blickte auf und sah den breiten Unterkiefer des Oberkellners, der uns feindselig anstarrte. Ich befürchtete, man würde uns hinauswerfen.
    »Und jetzt«, sagte ich, »würde ich gern etwas anderes wissen.«
    »Ja, Kom’dant«, sagte er. »Bin ganz Ohr.«
    »Würden Sie je nach Irland zurückgehen?«
    »Nein.« Er schloß die Augen. »Nein, daran liegt mir nichts. Zu viele ungute Erinnerungen.«
    »Gibt es denn einen Ort, an den Sie wie an ein ›Zuhause‹ denken?«
    »Aber bestimmt.« Er warf den Kopf zurück und grinste. »Die Promenade des Anglais in Nizza. Jemals davon gehört?«
    »Ja«, sagte ich.
    An einem Sommerabend hatte er auf der Promenade einen höflichen französischen Gentleman in ein Gespräch verwickelt. Eine Stunde lang hatten sie in Englisch das Weltgeschehen erörtert. Dann hatte der Gentleman einen 10.000-Francs-Schein aus seiner Brieftasche gezogen – »Alte Francs, wohlgemerkt!« – und ihm, nachdem er ihm seine Visitenkarte überreicht hatte, einen angenehmen Aufenthalt gewünscht.
    »Himmel und Hölle!« rief er. »Es war der Polizeichef!«
    Er hatte so oft wie möglich versucht, den Schauplatz des bewegendsten Augenblicks seiner Laufbahn wieder aufzusuchen.
    »Ja«, kicherte er. »Ich habe den Polizeichef angehauen … in Nizza!«
    Das Restaurant war jetzt leerer. Ich bestellte eine doppelte Portion Apfelkuchen für ihn. Eine Tasse Kaffee lehnte er ab. Bei Kaffee, sagte er, kriege er Magenverstimmung. Er rülpste. Ich zahlte.
    »Vielen Dank, Sir«, sagte er mit dem Ausdruck eines Interviewten, der eine Reihe von Nachmittagsterminen hat. »Ich hoffe, ich war Ihnen behilflich.«
    »Das waren Sie durchaus«, bedankte ich mich.
    Er stand auf, setzte sich jedoch wieder hin und starrte mich unverwandt an. Nachdem er den äußeren Ablauf seines Lebens geschildert hatte, wollte er nicht gehen, ohne seine inneren Beweggründe zu kommentieren.
    Dann sagte er langsam und mit großem Ernst:
    »Es ist, als ob einen die Gezeiten über den Highway spülen. Ich bin wie die Arktische Seeschwalbe, Kom’dant. Das ist ein Vogel. Ein wunderschöner weißer Vogel. Er fliegt vom Nordpol zum Südpol und wieder zurück.«

36
    I n der Nacht regnete es wieder, und am Morgen, als ich aus dem Fenster sah, stand die Sonne am Himmel, und purpurrote Dunstwolken schienen sich von der Flanke des Mount Liebler zu schälen.
    Um zehn gingen Rolf und ich los, um Limpy zu suchen. Von Arkady, der seit drei Wochen überfällig war, war eine Nachricht gekommen, daß wir ihn mit dem Postflugzeug erwarten könnten. Es sei sehr wichtig … »wiederhole, sehr wichtig«, daß Limpy und Titus zur Verfügung stünden.
    Der medizinische Geruch von brennendem Eukalyptusholz zog durch das Tal. Der Hund heulte, als wir näher kamen. Bettücher waren zum Trocknen ausgebreitet

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