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Traumpfade

Traumpfade

Titel: Traumpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Chatwin
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gestrandet: ihr Zustand ähnele vielmehr dem Adams vor dem Sündenfall. Er verglich die »Fußspuren des Ahnen« gern mit dem Ausspruch unseres Herrn: »Ich bin der Weg.«
    »Was sollte ich tun?« fragte mich Pater Terence. »Den Mund halten? Oder ihm sagen, was ich dachte? Nein. Ich mußte ihm sagen, daß meiner Meinung nach die Gedankenwelt der Aborigines zu verwirrt, zu herzlos und zu grausam war. Wodurch konnte ihr Leiden verringert werden, wenn nicht durch die christliche Botschaft? Wie anders sollte dem Töten Einhalt geboten werden? Der Name eines ihrer Zentren in den Kimberleys bedeutet ›Tötet sie alle!‹ , und ›Tötet sie alle!‹ ist eine der heiligen Stätten, von denen sie heutzutage so viel halten! Nein! Nein! Nein! Diese armen schwarzen Kinder haben nur die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten: das Wort Gottes oder die Polizei!«
    Niemand könne leugnen, fuhr er fort, daß die Aborigines in ihrer Vorstellung von der Traumzeit eine erste dunkle Ahnung vom ewigen Leben gehabt hätten – was bedeute, daß der Mensch von Natur aus religiös sei. Ihre »primitive« Magie jedoch mit dem Wort Gottes zu verwechseln sei allerdings eine Verirrung.
    Die Schwarzen hätten keine Schuld. Jahrtausendelang seien sie von der geschichtlichen Entwicklung der Menschheit abgeschnitten gewesen. Wie hätten sie das große Erwachen erleben können, das in den Jahrhunderten vor Christus die Alte Welt überschwemmte? Was wußten sie vom Tao? Oder von Buddha? Von den Lehren der Upanischaden? Oder vom Logos des Heraklit? Nichts! Wie sollten sie auch? Aber was sie tun konnten, auch heute, das war der Sprung in den Glauben. Sie konnten den Weg der drei Weisen gehen und das hilflose Kind von Bethlehem anbeten.
    »Und an diesem Punkt«, sagte Pater Terence, »habe ich Flynn, glaube ich, verloren. Er hat die Geschichte vom Stall nie verstanden.«
    Es war inzwischen kühler geworden, und wir setzten uns vor die Hütte. Gewitterwolken standen nebeneinander wie eine Prozession luftiger Eisberge hoch über dem See. Die milchigblauen Brecher klatschten ans Ufer, Schwärme von Seeschwalben glitten tief über das Wasser der Bucht, und ihre dünnen, metallischen Schreie drangen durch das Tosen der Brandung. Es ging kein Wind.
    Pater Terence sprach über Computer und genetische Manipulation. Ich fragte ihn, ob er sich je nach Irland sehne.
    »Nie!« Er hob beide Arme dem Horizont entgegen. »Hier könnte ich es nie verlieren.«
    Über die Tür der Hütte war eine Treibholzplanke genagelt, in die er zwei Zeilen in »gälischen« Buchstaben geschnitzt hatte:
     
    Die Füchse haben Gruben,
die Vögel unter dem Himmel haben Nester,
aber des Menschen Sohn hat nichts,
da er sein Haupt hinlege.
    Der Herr, sagte er, habe vierzig Tage und vierzig Nächte in der Wildnis verbracht und weder ein Haus noch eine Zelle gebaut, sondern in der Nische eines Brunnens Zuflucht gesucht.
    »Kommen Sie.« Er bedeutete mir, ihm zu folgen. »Ich möchte Ihnen etwas zeigen.«
    Er ging über zermahlene rötliche Muscheln voran – Überreste des Stammes, der früher hier gelebt hatte. Nach etwa zweihundert Metern blieb er vor einem cremefarbenen Felsen stehen, unter dem eine klare Wasserquelle sprudelte. Er hob seine Soutane hoch und watete wie ein kleiner planschender Junge im Wasser herum.
    »Ist Wasser in der Wüste nicht etwas Köstliches?« rief er. »Ich habe diese Stelle Meribah genannt.«
    Als wir zur Hütte zurückgingen, streckte ein Wallaby seinen Kopf hinter einer Palme hervor und hüpfte auf ihn zu.
    »Mein Bruder, das Wallaby«, sagte er lächelnd.
    Er ging hinein, um ein paar Krusten zu holen. Das Wallaby fraß sie ihm aus der Hand und rieb den Kopf an seiner Hüfte. Er streichelte es hinter den Ohren.
    Ich sagte, daß ich gehen müsse. Er erbot sich, mich den Strand entlang zu begleiten.
    Ich zog meine Stiefel aus und hängte sie an den Schnürsenkeln um meinen Hals, und der warme Sand quoll zwischen meinen Zehen hervor. Krabben huschten zur Seite, wenn wir näher kamen, und Scharen von Stelzvögeln flatterten auf und ließen sich weiter vorn nieder.
    Am meisten würde er das Schwimmen vermissen, sagte er. An windstillen Tagen schnorchelte er am liebsten stundenlang um das Riff herum. Die Männer vom Zollschiff hatten ihn einmal gesichtet – und irrtümlich für eine treibende Leiche gehalten. »Und ich muß leider sagen, ich war im Adamskostüm.«
    Die Fische hier, sagte er, seien so zahm, daß man durch einen Schwarm hindurchschwimmen und sie

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