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Traumpfade

Traumpfade

Titel: Traumpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Chatwin
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zurückzulegen.
    »Hier!« sagte er. »Kommen Sie und setzen Sie sich in den Schatten, und ich mache einen Kessel Wasser heiß, für Tee.«
    Wir setzten uns auf eine Bank in den Schatten hinter der Hütte. Auf dem Boden lagen ein paar schwarze Gummiflossen, ein Schnorchel und eine Taucherbrille. Er brach ein paar dürre Zweige, zündete sie an, und die Flammen flackerten unter dem Dreifuß auf.
    Er war von kleinem Wuchs, hatte rötliches Haar, soweit ihm noch Haare blieben, und nur noch wenige rissige, bräunliche Zähne. Er hüllte die Zähne in ein zögerndes Lächeln. Bald würde er nach Broome gehen müssen, sagte er, um sich vom Arzt seine Hautkarzinome vereisen zu lassen.
    Als Junge, erzählte er, hatte er in der irischen Botschaft in Berlin gelebt, wo sein Vater, ein Patriot, heimlich für die Vernichtung des britischen Weltreichs arbeitete. Das Temperament dieses Mannes hatte den Sohn in ein von Gebeten erfülltes Leben getrieben. In den sechziger Jahren war er nach Australien gekommen, um sich einem neuen Ordenshaus der Zisterzienser in Victoria anzuschließen.
    Er schrieb jeden Abend zu dieser Stunde auf der Maschine: hauptsächlich Briefe, an Freunde überall in der Welt. Er hatte eine langjährige Korrespondenz mit einem zenbuddhistischen Mönch in Japan. Danach las er ge wöhnlich, dann machte er die Lampe an und las weiter bis spät in die Nacht. Er hatte Durkheims Elementare Formen des religiösen Lebens gelesen, die ein anderer Freund ihm aus England geschickt hatte.
    »Wahnsinn«, stieß er keuchend hervor. »Elementare Formen, nein so was! Wie kann Religion eine elementare Form haben? War dieser Typ Marxist oder so etwas Ähnliches?«
    Er arbeitete an einem eigenen Buch. Es sollte ein »Handbuch der Armut« werden. Er hatte sich noch nicht für einen Titel entschieden.
    Heute, sagte er, müßten die Menschen mehr denn je lernen, ohne Dinge zu leben. Dinge erfüllten die Menschen mit Furcht: je mehr Dinge sie besaßen, um so mehr hatten sie zu fürchten. Dinge neigten dazu, sich an die Seele zu heften und der Seele dann zu befehlen, was sie tun solle.
    Er goß den Tee in zwei rote Emaillebecher. Er war dunkel und kochendheiß. Wir saßen ein oder zwei Minuten da, bis er plötzlich das Schweigen brach: »Ist es nicht wunderbar? In diesem wunderbaren zwanzigsten Jahrhundert zu leben? Zum erstenmal in der Geschichte braucht man nichts mehr zu besitzen.«
    Er hatte zwar ein paar Dinge in seiner Hütte, aber er würde sie bald zurücklassen. Er würde fortgehen. Er hatte seine kleine Hütte zu sehr ins Herz geschlossen, und das schmerzte ihn.
    »Es gibt eine Zeit für die Stille«, sagte er, »und eine Zeit für Lärm. Jetzt würde ich etwas Lärm begrüßen.«
    Sieben Jahre lang hatte er sich von den Wüstenvätern geistig lenken lassen: in der Wüste verloren zu sein bedeutete, den Weg zu Gott zu finden. Aber jetzt sorgte er sich weniger um seine eigene Bettung als um die Bedürfnisse von Menschen. Er wollte für die Notleidenden in Sydney tätig sein.
    »Ich denke ähnlich von der Wüste«, sagte ich. Der Mensch war in der Wüste geboren, in Afrika. Indem er in die Wüste zurückkehrte, entdeckte er sich selbst.
    Pater Terence schnalzte mit der Zunge und seufzte: »Du lieber Himmel! Ich sehe, Sie sind ein Evolutionist.«
    Als ich ihm von meinem Besuch bei Pater Subiros und Pater Villaverde berichtete, seufzte er wieder und sagte mit einem sehr starken irischen Akzent: »Die beiden! Ein schönes Paar!« Ich fragte ihn nach Flynn. Er hielt inne, bevor er eine wohlüberlegte Antwort gab.
    »Flynn muß eine Art Genie sein«, sagte er. »Er hat, was man einen jungfräulichen Verstand nennen könnte. Er kann alles lernen. Er hat ein ausgezeichnetes theologisches Verständnis, aber ich glaube nicht, daß er je gläubig gewesen ist. Den Sprung in den Glauben hat er nie geschafft. Dafür mangelte es ihm an Phantasie, und das machte ihn in gewisser Hinsicht gefährlich. Er hat sich ein oder zwei gefährliche Theorien zu eigen gemacht.«
    »Zum Beispiel?«
    »Synkretismus«, sagte Pater Terence. »Die Reise nach Rom war ein Fehler.«
    In Rom hatte Flynn begonnen, die Bevormundung durch seine weißen Vorgesetzten zu hassen und es den Christen zu verübeln, daß die Religionen seines Volkes nicht ernst genommen wurden. Als er in Boongaree eintraf, dachte er schon selbständig.
    Die Kirche, sagte er immer wieder zu Pater Terence, irrte in ihrer Vorstellung, die Aborigines seien in irgendeiner furchtbaren Vorhölle

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