Traumreisende
die Ereignisse jedes Tages werden uns neue Chancen des Geistes eröffnen.«
Beatrice dachte über die beiden Welten nach, die, in der sie aufgewachsen war, und diese hier, aus der die >Veränderten< die Aborigines retten zu müssen glaubten. Wenn sie doch nur verstehen würden!
Als sie an diesem Abend weitergingen, wurde entschieden, dass Beatrice über die Jahreszeiten und das Wetter unterrichtet und mit jedem neuen Lebewesen, das ihnen begegnete, bekannt gemacht werden sollte. Am folgenden Abend würden sie mit den ersten Gesangs-und Tanzlektionen beginnen, die ein Jahr dauern würden. Diese Lehren wurden für alle heranwachsenden Kinder immer aufs neue wiederholt.
Die sechs Menschen sprachen von ihrer ersten Begegnung mit Beatrice und davon, dass sie sich bei ihrer Sandzeichnung wohl gefühlt hätten. Sie war nicht die erste, die aus der äußeren Welt gekommen war und nur so flach sah, wie es der weiße Mann tat, der nur die Haut eines Kängurus sah. Als das zum ersten Mal passiert war, hatten sie nicht gewusst, was sie denken sollten. Alle Kunstwerke der Aborigines waren aus der Vogelperspektive geschaffen. Man sah vom Himmel aus die Wasserlöcher, die geheiligten Hügel, Lagerfeuer und Menschen. Oder man sah Tiere und Fische, aber in ihrer ganzen physischen Struktur, außen Flossen und Augen, innen Rückgrat und Organe. Es fiel ihnen schwer zu verstehen, wie jemand so sehen könnte, wie es der weiße Mann tat, so flach, nur die Oberfläche, aber nachdem es ihnen einmal erklärt worden war, empfanden sie das nur noch als eine weitere interessante Herausforderung, der man sich stellen musste.
Beatrice war als Persönlichkeit nicht streitlustig oder anspruchsvoll. Das ging klar daraus hervor, dass es auf ihrem Kängurubild weder Zehen noch irgendwelche anderen Details gab. Ihre Zeichnung war groß und locker, was ihnen verriet, dass sie aufgeschlossen war. Jeder von ihnen hatte die Linie bemerkt, die über das Känguru gezogen war und den Beutel andeutete, aber es schaute kein Babykopf heraus. Auch Beatrice hatte eine solche Linie auf dem Bauch. Sie hatte keine Erklärung dafür abgegeben. Sollte es eine geben, würde das später geschehen. Höchstwahrscheinlich handelte es sich um eine Frauenangelegenheit. Als Zeichnerin war sie zögerlich gewesen und hatte sogar um Anweisungen gebeten, was sie zeichnen sollte.
Die Persönlichkeit eines Individuums, seine Merkmale und Handlungen sowie die Frage nach sozialen Einflüssen im Gegensatz zu überkommenen Verhaltensweisen waren in den ersten fünfzigtausend Jahren ihrer Existenz nicht von Belang gewesen. Erst in den letzten fünfzig Jahren hatte man begonnen, solche Dinge zu beobachten und zu erörtern. Erst seit die Weißen gekommen waren und ihr Volk gefangengenommen hatten, waren manchmal Gefangene geflohen und erzählten Geschichten von Grausamkeit, Diebstahl und Gier, lauter neue Begriffe, denen ein schlechter Geruch anzuhaften schien.
Am Anfang gab es keine verantwortungslosen Menschen. Es gab einige mit ausdauernder Energie und andere, die ihr ganzes Leben lang faul zu sein schienen, aber jeder war verantwortungsvoll. Am Anfang gab es die Ehre. Die Menschen trugen schmückende Ehrenzeichen. Jeder konnte solche wundervollen Ornamente entwerfen, aber niemand versuchte das nachzuahmen, was anderen ehrenhalber verliehen worden war.
Seit die Europäer gekommen waren und die Stämme gezwungen hatten, ihre Gemeinschaften aufzulösen, schienen die neuen Generationen, die an den modernen Orten geboren worden waren, Verantwortung und Ehre nicht mehr als Teil ihrer Kultur zu betrachten. Sie hatten nichts, wofür sie verantwortlich waren. Der weiße Mann lehrte sie, dass alles, wofür sie standen, falsch, dumm und böse sei.
Später an diesem Abend setzte sich die Gruppe aus sechs Zuhörern und einer Erzählerin zusammen. Beatrice erzählte ihr Leben. Mit Unterstützung von Benala brachte sie die Informationen darüber, wie die Welt außerhalb ihrer engen Grenzen beschaffen war, auf den neuesten Stand und erzählte von fernen Gegenden namens Amerika und China. »Es gibt einen Stoff«, sagte sie, »der aus dünnen und starken Fäden besteht, dem Werk eines Wurms.«
»Ein Wurm, der webt wie eine Spinne?« unterbrach Karaween sie und beschrieb mit gespreizten Fingern einen Kreis.
»Die Form des Gewebes kenne ich nicht genau«, gab Beatrice zu, »aber es ist wie ein langer Spinnenfaden, nur viel stärker, so dass es zu einem Stoff verwebt werden kann.« Sie hielt
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