Traumreisende
gab es einen Bereich mit dichten Pflanzen und einen felsigen Abhang. Indigo war vier Jahre alt, und sie konnte schwimmen, aber die Großmutter wusste, dass sie beim Schwimmen viel Lärm und Geplätscher machte. Sie würde selbst schwimmen und das kleine Mädchen mitziehen müssen. Konnte sie ihr begreiflich machen, dass sie diesmal nicht schwimmen, sondern sich still treiben lassen sollte?
Der Schlamm wurde tiefer und tiefer, das Vorwärtskommen immer mühsamer. Sie hörte die Stiefel und die Stimme eines Mannes, aber sie konnte nicht bestimmen, wie nahe er war. Sie spürte, dass er sie noch nicht gesehen hatte, denn seine Art zu reden veränderte sich nicht.
Die Großmutter sah Indigo an, schaute nachdenklich in ihre schwarzen Augen. Sie legte den Finger an die Lippen, um ihr zu bedeuten, sie solle leise sein. Dann hob sie sich das Kind auf den Rücken. Indigo legte ihr die Arme um den Hals, und die Großmutter packte ihre beiden Füße und legte sie sich um die Taille. Beweg dich nicht, dachte sie immer wieder. Bitte, beweg dich nicht! Sie kam jetzt in Wasser, das tief genug war, um zu schwimmen.
Ohne mit Armen oder Beinen die Wasseroberfläche zu durchbrechen, schwamm sie wie ein Frosch auf die andere Seite. Ich hätte etwas Gras mitnehmen sollen, dachte sie, um unsere Köpfe zu verbergen. Es war zu spät. Sie hatten den mit Pflanzen bewachsenen Bereich verlassen, und nun waren im Wasser deutlich zwei menschliche Köpfe zu sehen. Sie hatten das andere Ufer fast erreicht, als von rechts ein Ruf ertönte. Die Großmutter schaute hinüber und erblickte einen dritten weißen Mann. Hinter ihnen, da, wo sie ins Wasser getaucht waren, erhob sich mehr Lärm. Der dritte Mann hatte sie nicht entdeckt, aber er hatte seine Freunde gesehen und rief ihnen etwas zu.
Sie konnte die fremde Sprache nicht verstehen. Sie hatten nur ein paar Meter zu gehen, bis sie im Schilf wären, aber der dritte Mann würde sie deutlich erkennen können, wenn sie aus einem kleinen Hain von Bäumen heraustraten. Wenn er nur den Kopf drehte, würde er sie beide sehen. Es war keine Zeit, Indigo zu warnen, keine Zeit, sich irgend eine andere Vorgehensweise zu überlegen. Die Großmutter zwang sich einfach unter Wasser und zog das Kind auf die Unterseite ihres Körpers. Als sie zwischen hohem Schilfgras und wilden Lilien wieder auftauchten, presste sie die Hand fest auf Indigos Mund. Der dritte Mann hörte das Geräusch, mit dem sie auftauchten, aber als er sich umschaute, sah er nichts. Ohne seine Schritte zu verlangsamen, ging er weiter um den sumpfigen Teich herum, um sich seinen Freunden anzuschließen.
Die beiden in ihrem Versteck waren so reglos wie die Pflanzen um sie herum. Die Großmutter drückte die Hand so fest auf den Mund des Kindes, dass es nur die Backen aufblasen konnte und Wasser aus seiner Nase rann, als es husten musste. Das Kind hatte Schmerzen und schreckliche Angst, aber die Großmutter bewegte keinen Muskel, bis der dritte Mann die beiden anderen erreicht hatte und alle dem Teich den Rücken kehrten. Sie blieben noch mehr als zwei Stunden im Sumpf, bis alle Geräusche und Gerüche der grausamen Fremden verweht waren und nur der blutige Geruch des Todes zurückblieb. Endlich stiegen sie aus dem Wasser und gingen landeinwärts.
Sie waren erst wenige Meter gegangen, da sahen sie etwas auf dem Boden liegen. Indigo, die jetzt an der Hand der Großmutter ging, sah die Person auch. Jemand schläft da auf dem Bauch, dachte sie, aber dann sah sie das frische Blut, das aus einem Loch im Nacken kam. In der Nähe des Kopfes sah sie Füße und Fußknöchel zwischen den wilden Pflanzen, kleine Füße mit einem gelben geflochtenen Band um die Knöchel, wie es viele ihrer Freundinnen trugen. Und auf einer Seite war eine Hand, wo ein Körper hingefallen war und von den Pflanzen teilweise verdeckt wurde. Die Hand hatte hervorstehende Adern, eine alte Hand, älter als Großmutters. Indigo konnte die Augen nicht von der Hand, den Kinderfüßen und dem blutbesudelten toten Mann wenden. Man brauchte ihr nicht zu sagen, sie solle nicht sprechen: Es war ihr unmöglich, auch nur einen Laut hervorzubringen. Einmal in ihrem jungen Leben war ein älterer Mann gestorben, und sie hatte das Ritual miterlebt, wie der Leichnam hergerichtet, das Totenfloss gebaut und dann mit einer brennenden Fackel dem Meer übergeben worden war.
Sie wusste um den Tod, aber bislang war er ihr normal erschienen. Von Leiden und sterbenden Kindern war keine Rede gewesen. Was
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