Traumsammler: Roman (German Edition)
einen kleinen Bungalow mit Holzveranda, die einen Blick auf den Pool, das Restaurant und einen Wald mit hohen Redwood-Bäumen bot. Einige Bäume standen so dicht vor unserem Fenster, dass wir die Farbnuancen im Fell der Eichhörnchen erkennen konnten, die an den Stämmen nach oben flitzten. Am ersten Morgen weckte mich meine Mutter und sagte: Schnell, Pari, das musst du unbedingt sehen . Draußen vor dem Fenster äste ein Reh.
Ich schob sie im Rollstuhl durch den Park. Was muss ich für ein Anblick sein! , sagte meine Mutter. Ich hielt bei dem Springbrunnen und setzte mich neben sie auf eine Bank. Wir ließen uns die Sonne ins Gesicht scheinen und sahen den Kolibris zu, die von einer Blüte zur anderen flogen, und wenn sie eingeschlafen war, schob ich sie zurück zum Bungalow.
Am Sonntagnachmittag saßen wir bei Tee und Croissants auf der Terrasse vor dem Restaurant, einem großen Raum mit spitzer Decke, vielen Bücherregalen, einem Traumfänger und einem soliden, schlichten steinernen Kamin. Auf der unteren Ebene des Raumes spielten ein Mann mit einem Derwischgesicht und ein Mädchen mit schlaffen, blonden Haaren eine lahme Partie Tischtennis.
Wir müssen etwas mit meinen Augenbrauen machen , sagte meine Mutter. Sie trug einen Wintermantel über dem Pullover und die rotbraune Beanie-Mütze, die sie sich vor anderthalb Jahren gestrickt hatte, als, wie sie es ausdrückte, der ganze Spaß begonnen hatte.
Ich male dir Brauen auf , sagte ich.
Aber bitte möglichst ausdrucksvoll.
Wie die von Elizabeth Taylor in Kleopatra ?
Sie lächelte schwach. Warum nicht? Sie nippte am Tee. Ihr Lächeln verstärkte die neuen Falten auf ihrem Gesicht. Ich habe in einer Seitenstraße in Peschawar Kleider verkauft, als ich Abdullah kennengelernt habe. Er sagte, ich hätte wunderschöne Augenbrauen.
Das Tischtennispärchen hatte die Schläger weggelegt. Beide lehnten jetzt am Holzgeländer, teilten sich eine Zigarette und sahen zum strahlenden, fast wolkenlosen Himmel auf. Das Mädchen hatte lange, knochige Arme.
Ich habe in der Zeitung gesehen, dass in Capitola heute ein Kunsthandwerkermarkt stattfindet , sagte ich. Wenn du dich gut genug fühlst, könnten wir hinfahren. Wir könnten dort sogar was essen, falls du Lust hast.
Pari?
Ja?
Ich möchte dir etwas erzählen.
Gern.
Abdullah hat einen Bruder in Pakistan , sagte meine Mutter. Einen Stiefbruder.
Ich fuhr zu ihr herum.
Er heißt Iqbal. Er hat mehrere Söhne. Er lebt in einem Flüchtlingscamp bei Peschawar.
Ich stellte die Tasse ab und wollte etwas sagen, aber sie kam mir zuvor.
Ja, ich weiß. Ich hätte es dir längst erzählen sollen. Aber besser spät als nie, nicht wahr? Dein Vater hat seine Gründe. Du wirst sie mit der Zeit gewiss verstehen. Entscheidend ist nur, dass er einen Stiefbruder hat, und er hat ihn immer finanziell unterstützt.
Wie sie mir jetzt erklärte, hatte Baba diesem Iqbal – meinem Stiefonkel, wie mir plötzlich klar wurde – bei der Western Union vierteljährlich tausend Dollar auf ein Konto bei einer Bank in Peschawar überwiesen.
Warum erzählst du mir das jetzt? , fragte ich.
Weil ich finde, dass du es wissen solltest, auch wenn dein Baba nichts davon ahnt. Da du bald unser Geld verwalten wirst, hättest du es sowieso herausgefunden.
Ich wandte mich ab und beobachtete eine Katze, die sich mit aufgerichtetem Schwanz an dem Tischtennispärchen rieb. Das Mädchen bückte sich, um sie zu streicheln. Die Katze erstarrte zuerst, ließ sich dann aber kraulen. Mir schwirrte der Kopf. Ich hatte Familie in Afghanistan.
Du wirst die Buchführung noch lange machen, Mutter , sagte ich und bemühte mich sehr, das Beben in meiner Stimme zu unterdrücken.
Ein angespanntes Schweigen breitete sich aus. Als meine Mutter weiterredete, tat sie dies so leise und bedächtig wie früher, wenn wir zu einer Beerdigung in die Moschee gegangen waren. Sie hatte sich damals hingehockt und mir geduldig erklärt, dass ich die Schuhe ausziehen und während der Gebete still sein müsse, weder zappeln noch meckern dürfe und vorher unbedingt noch einmal auf Toilette gehen solle.
Ganz sicher nicht , sagte sie. Und bilde dir ja nicht ein, dass ich das weiterhin tun werde. Es ist an der Zeit, dass du dich darum kümmerst.
Ich atmete schwer aus. Meine Kehle war wie zugeschnürt. In der Ferne wurde eine Kettensäge angeworfen, ihr Heulen unterbrach in unregelmäßigen Abständen die Stille des Waldes.
Dein Vater ist wie ein Kind. Er hat schreckliche Angst davor,
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