Traumschlange (German Edition)
seit geraumer Zeit hinter Abby stand.
Wütend verließ Abby das große Gebäude und nahm die U-Bahn nach Hause. Von dort führte sie mehrere Auslandsgespräche nach Haiti. Die Telefonnummer des Krankenhauses St. Lucie in Port-au-Prince hatte sie dem offiziellen Stempel der Sterbeurkunde entnommen. Sie versuchte mehrfach, den Arzt an den Apparat zu bekommen, der Linda behandelt und ihr Ableben amtlich beglaubigt hatte, aber es gelang ihr nicht.
Anschließend unternahm sie noch den fruchtlosen Versuch per Telefon eine Genehmigung zur Ausfuhr des Leichnams ihrer Schwester zu erwirken, aber dieses Ansinnen wurde von dem Beamten, mit dem sie sprach, brüsk abgelehnt. In Haiti, erläuterte er ihr, könne eine derartige Angelegenheit nicht anders gehandhabt werden und sie müsse persönlich erscheinen, den Antrag stellen und mit ihrer Unterschrift besiegeln.
Nach einer Stunde und horrenden Telefonkosten war Abby nahe dran vor Zorn zu explodieren, aber sie riss sich zusammen und bedankte sich bei der knurrenden Stimme. Die einzig brauchbare Information war die Tatsache, dass sie den geforderten Zinksarg in Port-au-Prince gegen eine wahnwitzige Gebühr zur Verfügung gestellt bekommen würde.
Abby überprüfte ihren Terminkalender. In nächster Zeit lagen keine dringenden Aufträge an. Sie würde also nach Haiti fliegen können, aber wie sollte sie das Ticket bezahlen? Ihre Reserven waren erschöpft. Ihr würde nichts anderes übrig bleiben, als ihr Konto zu überziehen. Hoffentlich zahlte Ternham seine Rechnung pünktlich, ansonsten hatte sie nicht einmal genug Geld für die nächste Miete, von Lindas Beerdigung ganz zu schweigen.
Abby hob den Hörer ab und ließ sich über die Auskunft die Nummer von British Airways geben. Eine junge, freundliche Stimme meldete sich.
„Guten Tag, British Airways. Mein Name ist Ann Muller.“
„Hallo. Abby Summers. Ich möchte mich nach einer Flugverbindung nach Haiti erkundigen.“
„Wann möchten Sie fliegen?“
„Sobald als möglich.“
Die Frau antwortete nicht sofort. Abby konnte hören, wie sie die Sprechmuschel mit der Hand abdeckte und gedämpft mit einer Kollegin sprach. Kurz darauf war sie wieder am Apparat.
„Tut mir leid. Alle Direktflüge sind ausgebucht. Die einzige Möglichkeit wäre ein Flug nach Santo Domingo, Dominikanische Republik. Von dort aus könnten Sie dann einen Inlandflug nach Port-au-Prince buchen.“
„Okay. Wann könnte ich fliegen?“
„Das kommt darauf an, wie eilig Sie es haben.“
Abby überlegte kurz. Sie hatte es eilig. Je schneller sie die traurige Angelegenheit hinter sich bringen konnte, desto besser.
„Morgen oder übermorgen.“
„Augenblick bitte.“
Das Klappern der Computertastatur drang aus der Ohrmuschel.
„Morgen geht ein Flug um 20.30 Uhr ab Heathrow. Für diese Maschine könnte ich Sie buchen, allerdings nur in der Business-Class.“
„Wie viel würde mich der Flug kosten?“
„879 Pfund Sterling.“
Abby dachte zuerst, sie habe sich verhört. „Wie viel?“
„879 Pfund Sterling.“
„Wann gäbe es die nächste Möglichkeit zu einem günstigeren Preis zu fliegen?“
Wieder das Klappern der Tastatur. „In fünf Tagen ab Gatewick. Der Preisunterschied beträgt 237 Pfund Sterling.“
„Buchen Sie mich für morgen.“
Obwohl es Abby widerstrebte, sich so in Unkosten zu stürzen, blieb ihr kaum eine andere Wahl. Sie gab der Frau ihre Daten und die Anschrift.
„Ihr Ticket wird für Sie am British Airways Schalter hinterlegt. Bitte checken Sie eine Stunde vor Abflug ein.“
Abby bedankte sich und legte auf. Sie fühlte sich erschöpft, aber noch war dieser Tag nicht zu Ende. Als nächstes musste sie sich um die Beerdigung ihrer Schwester kümmern. Abby stöhnte und nahm erneut den Hörer ab.
„Sie sind verrückt“, stöhnte der Arzt. Seine Augen stierten Abby ungläubig an. „Das kann einfach nicht ihr Ernst sein.“
„Machen Sie den Gips runter!“, erwiderte Abby energisch.
„Sind Sie sich über die Folgen im Klaren? Der Bruch ist noch längst nicht ausgeheilt. Frühestens, und ich meine frühestens, in einer Woche wäre daran zu denken, den Gips zu entfernen. Wollen Sie Ihr Leben lang humpeln?“
Abbys Gesicht verzog sich zu einem humorlosen Grinsen. Sie saß zurückgelehnt in einem unbequemen Stuhl vor dem wuchtigen Schreibtisch und fixierte ihren Hausarzt. Geduld war nicht gerade einer ihrer Stärken und dass Dr. Hedson sich seit fünf Minuten weigerte ihrem Wunsch nachzukommen,
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