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Traumschlange (German Edition)

Traumschlange (German Edition)

Titel: Traumschlange (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Wekwerth
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Und trotzdem, das Papier ließ ihre Hände zittern und ihre Finger feucht werden. Sie hatte den Brief zwar noch nicht geöffnet, aber sie wusste, dass der Inhalt ihr Leben verändern würde. Ab jetzt musste die Zeit in ein ‘davor’ und ein ‘danach’ eingeteilt werden. In eine Zeit vor und nach diesem Brief.
    Der Stempel auf der Briefmarke verriet als Absendeort Port-au-Prince, Haiti. Ihre Schwester Linda arbeitete und lebte seit über einem Jahr auf der tropischen Insel, aber dieser Brief war nicht von ihr. Die Adresse war mit Maschine geschrieben, etwas dass Linda nie tun würde. Außerdem sprachen sie nicht mehr miteinander. Linda hatte England im Streit verlassen. Der Grund war ein Mann gewesen. Peter, Lindas Verlobter, hatte sich auch für Abby interessiert, aber obwohl sie ihm immer wieder zu verstehen gegeben hatte, dass ein Verhältnis mit ihm für sie nicht in Frage kam, hatte er sie weiter bedrängt. Auf Lindas Abschiedsparty war es dann zum Eklat gekommen. Peter hatte zuviel getrunken und Abby auf dem Weg zur Toilette abgepasst. Zunächst hatte er nur auf sie eingeredet, aber dann hatte er sie gepackt und gegen ihren Willen geküsst. Als sie sich endlich von ihm befreien konnte, stand sie plötzlich Linda gegenüber. Das Gesicht ihrer Schwester war aschfahl gewesen, die Lippen hatten stumm gezittert, dann hatte sie Abby geohrfeigt, sich abgewandt und das Haus verlassen. Am nächsten Tag war Linda nach Haiti geflogen. Abbys Briefe, in denen sie die Situation zu klären suchte, waren alle ungeöffnet zurückgesandt worden.
    Seit diesem Vorfall gab es keinen Kontakt mehr zwischen ihnen, aber nun hielt sie einen Brief aus Haiti in ihren zitternden Händen und ahnte, dass Linda tot war.
    Die Luft im Hausgang schien kühler geworden zu sein. Obwohl es Sommer war, fröstelte Abby. Ihr Asthma meldete sich ohne Vorwarnung. In letzter Zeit hatte die Anzahl der Anfälle zugenommen, aber besonders schlimm wurde es nur, wenn sie unter psychischen Druck oder in Stresssituationen geriet. Dann hatte sie das Gefühl zu ersticken.
    Abby griff in ihre Jackentasche und zog das Sedacanol heraus. Sie schob sich die Plastiköffnung in den Mund und drückte heftig den kleinen Metallbehälter des Medikaments hinunter. Sekundenlang stand sie mit geschlossenen Augen, den Rücken an die Wand gelehnt und wartete auf die Wirkung des Medikaments.
    Als ihr das Atmen wieder leichter fiel, seufzte sie tief auf.
    Eines Tages wird es vielleicht nicht mehr wirken, dann werde ich ersticken.
    Sie hatte panische Angst bei der Vorstellung, wie ein gestrandeter Fisch, auf dem Boden zu zappeln und auf den Tod zu warten.
    Abby steckte den Brief in die Tasche ihrer Jeans, hob die Tüten auf und ging die zwei Stockwerke zu ihrem kleinen Apartment hinauf. Es dauerte einen Moment bis sie den Schlüssel im Schloss hatte, um dann mit dem Ellbogen die Tür aufzustoßen.
    Sie brachte den Einkauf in die Küche und räumte die Lebensmittel in den Kühlschrank. Erst dann nahm sich Abby Zeit für den Brief. Sie setzte sich in den abgewetzten Ohrensessel, den sie von ihrer Großmutter Justine geerbt hatte und legte den Gipsfuß auf einen gepolsterten Schemel. Das Papier raschelte eigenartig, als sie den Umschlag aufriss und danach den schlichten grauen Briefbogen entfaltete.
     
    Sehr geehrte Miss/ Mrs. Summers,
     
    wir bedauern, Ihnen den Tod Ihrer Schwester Linda mitteilen zu müssen. Sie verstarb am 23.Juli 2003 um 9.30 Uhr nach einer plötzlichen Fiebererkrankung im Krankenhaus St. Lucie, Port-au-Prince. Ihr Leichnam wurde in Übereinstimmung mit den hiesigen Landesgesetzen noch am gleichen Tag beerdigt.
    Eine Überprüfung aller Angaben und die Einsicht in die Krankenhausunterlagen haben ergeben, dass die verantwortlichen Ärzte alles in ihrer Macht stehende getan haben, um das Leben Ihrer Schwester zu retten. Eine Kopie, der polizeilichen Untersuchung liegt diesem Schreiben bei.
    In dieser schweren Stunde wird es kein Trost für Sie sein, aber die Krankheit Ihrer Schwester war nur von kurzer Dauer und sie verstarb, ohne noch einmal das Bewusstsein erlangt zu haben.
     
    Herzliches Beileid.
    Britische Botschaft Haiti, Port-au-Prince
     
    Die hingeworfene Unterschrift war nicht zu entziffern. Sicherlich hatte der Beamte, der Ihr diesen Brief geschrieben hatte, den Vorfall inzwischen längst vergessen.
    Ihre Gedanken schwammen auf einem trägen Fluss. Linda, tot? Sie erkannte die Wahrheit hinter diesen zwei Worten, war aber nicht bereit, die Tatsache zu

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