Traumschlange (German Edition)
die Treppe hinaufgeschleppt hatte.
„Hol meinen Wagen. Der Schlüssel steckt.“
Der Mann zitterte vor Angst. Seine Augen waren panisch geöffnet.
„Hol den verdammten Jeep!“, fuhr ihn Castor an.
Der Wächter rührte sich nicht. Castor nahm ihm das Automatikgewehr aus der Hand und schoss ihm in den Kopf.
Im Schutz des Haupthauses rannte er zu dem großen Geländewagen.
Das Krachen des abgefeuerten Revolvers weckte Jean aus seiner Lethargie. Verwirrt schlug er die Augen auf. Um ihn herum tobte das Feuer. Es war drückend heiß. Der Schweiß lief ihm aus allen Poren und trieb das restliche Gift aus seinem Körper.
Wo bin ich?, fragte er sich.
Er richtete sich auf und blickte sich um. Als erstes sah er Abby, die mit dem Rücken zu ihm stand und auf etwas schoss, das er nicht erkennen konnte. Jean wandte sich um. Direkt neben ihm stand eine fremde Frau und starrte dumpf vor sich hin.
Linda Summers?
Es musste Abbys Schwester sein. Jean erkannte sie von dem Foto, das ihm Abby gezeigt hatte. Aber wie kam sie hierher? Und wo waren sie? Der Raum, in dem sie sich befanden, gab darüber keinen Aufschluss. Warum brannte es? Warum löschte niemand das Feuer oder rief um Hilfe? Was war geschehen?
Das Denken fiel ihm schwer. Jean presste beide Hände gegen den Schädel. Als er den Kopf drehte, sah er Patrick Ferre auf dem Steinboden liegen. Er war verletzt oder tot. Sein Leib war aufgerissen. Blut strömte daraus hervor.
Was war hier los?
So sehr er sich auch bemühte, er fand keine Antwort auf seine Fragen, aber er fand Wut in sich, einen lodernden Zorn, der sich in seinen Geist drängte. Warum er so wütend war, wusste Jean nicht, aber bald verdrängte unbändiger Hass alle anderen Gefühle.
Jean ballte die Fäuste, bis die Knöchel knackten.
Der Revolver war leergeschossen. Die Tür schien unversehrt. Abby konnte durch den vielen Rauch nicht sehen, wie beschädigt sie war, aber sie machte sich keine Hoffnung mehr. Ihre Lungen keuchten nach Luft, aber es war zu spät, der Asthmaanfall überrollte Abby mit der Wucht eines Güterzuges. Ihr Körper verkrampfte sich. Sie sank zu Boden.
Plötzlich hob sich ein dunkler Schatten gegen die Flammen ab. Es war Jean, aber wie sollte er ihr helfen?
Mitchard beugte sich zu ihr hinab. Seine Augen funkelten gespenstisch. Auf seinem Gesicht spiegelte sich der Feuerschein. Er hatte die Zähne fest zusammengepresst. Seine Kiefer mahlten. Er wirkte zornig. Sehr zornig. Und entschlossen.
Seine Hände packten sie, hoben sie hoch. Dann umschlossen seine Arme ihren Brustkorb und drückten ihn zusammen. Sofort ließ der Druck auf ihren Lungen nach. Abby bekam wieder Luft. Keuchend atmete sie ein. Durch den Rauch musste sie heftig husten.
Jean ließ sie los, drehte sie um und blickte sie intensiv an. Ihre Augen tränten. Hinter dem diffusen Schleier wirkte er wie ein Fabelwesen aus einer anderen Welt.
„Was ist passiert?“, fragte Jean mit einer seltsamen Ruhe, die Abby angesichts des Feuers nicht verstand. „Wo sind wir hier? Warum brennt es?“
„Das kann ich dir jetzt nicht erklären“, krächzte Abby heiser. „Wir müssen hier raus!“
Jean blickte zu den Flammen. „Ich weiß.“
„Die Tür ist von draußen verriegelt.“
Sein Kopf drehte sich unendlich langsam in Richtung Tür. Seine Miene verzerrte sich. Abby sah seine Nasenflügel beben.
Plötzlich rannte Jean los. Er warf sich mit seinem vollen Körpergewicht gegen die brennende Tür. Das Holz zersplitterte. Die Tür wurde aus den Angeln gerissen und krachte nach draußen in den Gang. Funken stoben zur Decke.
Sekundenlang war Jean aus Abbys Blickfeld verschwunden. Als er im Türrahmen auftauchte, wirkte er noch unheimlicher als zuvor. Sein linkes Ohr war eingerissen. Blut lief ihm über die Wange hinab. Das ganze Gesicht war zerkratzt und mit Russ verschmiert. Seine Augen waren darin kaum auszumachen. Er schritt auf sie zu.
„Ich nehme Linda. Hilf du Patrick“, sagte Abby zu ihm.
Sein Blick streifte den am Boden liegenden Ferre.
„Er ist tot“, stellte er gleichgültig fest.
Abby fühlte, wie sie diese Erkenntnis schmerzte. Patrick Ferre trug einen großen Teil der Schuld, an allem was ihr und Linda geschehen war, aber am Ende seines Lebens hatte er bewiesen, dass auch Gutes in ihm steckte. Sie sah Jean an, entdeckte aber keine Gefühlsregung in seiner verschlossenen Miene. Mitchard war eindeutig wieder bei klarem Verstand, aber er wirkte sonderbar, so als habe er seine Emotionen nicht
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