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Traumtagebuecher

Traumtagebuecher

Titel: Traumtagebuecher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Sarafin
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genommen hatte. Einige kichernde Nachzügler verschwanden in den Schulzimmern, bis ich allein und ziemlich rot auf dem eben noch sauberen Flur zurückblieb und mich fragte, wie um alles in der Welt mein erster Schultag so hatte aus dem Ruder laufen können.
    Karma, daran musste es liegen.
    Manchmal wünschte ich mir wirklich, ein Riese würde kommen, und mich von meiner Stiefmuggelfamilie befreien. Nur waren meine Verwandten eigentlich ganz okay – und ich die Böse. Naja, wenn ich an mir herabsah wohl doch nicht. Außerdem war es ja nicht so, dass ich Leute umbrachte. Nicht, dass ich nicht schon öfter daran gedacht hatte, genauer gesagt dachte ich genau in diesem Moment daran. Aber das taten sechs Jahre Schwererziehbareninternat – Jugendknast hätte besser zur Saint Blocks gepasst – mit einem. Trotzdem war die Saint Blocks immer noch besser, als mit David auf der Schule zu sein. Oder mit David überhaupt irgendwo.
    Ich vergrub meine Hände in den Hosentaschen, ignorierte, dass ich so die Farbe nur weiter verteilte und atmete tief ein. Zur Hölle … das konnte ja heiter werden!
    Sekundenlang spielte ich mit dem Gedanken, einfach zurückzugehen, in meine Klasse, und David zu verpfeifen. Aber mal ehrlich: wer würde mir schon glauben?
    Also benötigte ich fünf Minuten, um das rote Zeug – Tomatensaft mit irgendwas Klebrigem – halbwegs aus meinen Haaren zu bekommen. Fünf weitere Minuten benutzte ich dazu, um wieder einigermaßen trocken zu werden.
    Auf dem Weg in den Klassenraum überlegte ich mir einige Möglichkeiten mich zu rächen, verwarf aber alle, da die Vorstellung eines roteingefärbten Davids nicht einmal halbwegs befriedigend war. Obwohl … ein bisschen tröstlich war die Idee schon, als ich die Tür zum Klassenraum öffnete und 26 Anwesende ihre Aufmerksamkeit auf mich richteten. Vor allem, da nur einer von ihnen nicht herablassend grinste. Der Lehrer. Der grinste nämlich überhaupt nicht.
    »… de Temples ! Hat man Ihnen auf Ihrer alten Schule nicht beigebracht, wie die Uhr gelesen wird?«
    Verblüfft über die offene Herablassung und die Feindseligkeit in der Stimme des älteren Mannes, war ich sekundenlang sprachlos. Sekunden, die er mit Worten füllte, die mir noch vor den sechs Jahren im »innersten Zirkel der Hölle« Schamesröte ins Gesicht und Tränen in die Augen getrieben hätten. Oh ja, ich war eine ganz Harte. Dass meine Gesichtszüge meinen rasch wechselnden Emotionen nicht folgen konnten und einfach versteinerten, hatte natürlich nichts mit meinem Lächeln zu tun, das ich trotz des rüden Empfangs beibehielt.
    »Orientieren Sie sich einfach am Klingeln – oder ahmen Sie das Verhalten der normalen Schüler nach. Am besten nehmen Sie sich Rebecka Montag zum Vorbild, pünktlich, strebsam und vorbildlich.«
    Während seiner Tirade – ich konnte einzelnen seiner Haare beim Grau werden zuschauen – zeigte der Mann mit der Halbglatze und den akkurat über sie hinweggestylten, schütteren Haaren auf einen freien Sitzplatz neben Miss Vorzeigeschülerin. Blondie funkelte mich wütend an. Irrte ich mich oder waren ihre Haare auch noch ein wenig feucht?
    »Danke, ich werde mir diesen weisen Rat zu Herzen nehmen!« Ich schenkte meinem neuen Mathelehrer ein dankbares Lächeln, gab mir aber keine Mühe, den Sarkasmus aus meiner Stimme zu verbannen.
    Entweder er bemerkte es nicht oder es war ihm egal – vielleicht besaß er auch einfach ein besseres Mantra als ich. Auf jeden Fall wandte er sich wieder dem Lehrmaterial zu, während ich unter dem stillen Grinsen der anderen Schüler den Platz neben Blondie belegte. Tatsächlich, ihre Haare waren nicht ganz trocken – und rochen intensiv nach billiger Handwaschlotion.
    Kurz war ich versucht, eine Entschuldigung zu flüstern, doch ihr Blick hielt mich ab. Irgendwoher kann ich diesen Ausdruck. Doch bevor sich das flaue Gefühl in meinem Magen weiter verdichten, oder ich über die merkwürdige Bekanntheit nachdenken konnte, befahl Mister Förster, Seite 74 aufzuschlagen. Das laute Rascheln von Seiten und Aufschlagen von Heften übertönte meine innere Stimme.
    Drei Minuten später waren sie und ich eingeschlafen, obwohl mein Körper immer noch vital wirkte und meine Augen offen standen. Ein Zustand, den ich in den letzten sechs Jahren perfektioniert hatte. Niemand konnte so gut geistig anwesend wirken wie ich und sich trotzdem im seelischen Nirwana befinden. Das funktionierte leider nur im Unterricht, nicht im wahren Leben.
    »… de Temples

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