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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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eine junge Dame kennen, die –
    Da muss ich dir was erzählen, sagte Lobowitz, pass auf! Eines Tages meldete sich bei mir ein alter Kerl, der aussah wie der alte Tolstoj in seinen pazifistischen Zeiten … ein Bart bis über den Bauch. Er hieß, glaube ich, Morst… Lorst oder Borst, egal, und fragte, ob er eine Leiche kaufen könne, aber eine, die vor dem Ableben keine ansteckende Krankheit gehabt habe – stell dir das vor. Nun hatte ich ein schönes, blutjunges Mädchen auf dem Tisch – Autounfall –, der ich gerade die Augen entnommen hatte … die Glasaugen waren schon installiert, und da musste ich natürlich passen. Wäre nicht gegangen. Die Pointe ist die – der Mann war Taxidermist, ein Ausstopfer, ein Präparator. Weißt du, dieser Mann hatte keine Moral … dieser Mangel an Pietät ist widerlich, ist aber ein Ausdruck dieser verrotteten Gesellschaft in toto … vor Krisen bin ich gottlob geschützt, werde und stirb, wie Gide einmal schrieb, so hat’s zu sein, du solltest dir auch einen krisensicheren Job suchen, ich könnte noch einen Gehilfen –
    Danke, sagte ich, ich fühle mich etwas angegriffen … die Nerven.
    Ach Arthur, die Nerven, diese Millefleurs, rief L., könnte man auch die pflücken … aber der unvermeidliche Zelltod setze in diesem Fall der Verwertung gewisse Grenzen.
    Muss gehen, sagte ich, betäubt von den exzellenten Cocktails, ruf mir ein Taxi. Danke.
    Bleib zum Essen, sagte Lobowitz, Elvira habe ich Fleisch verboten, sie verliert an Façon, was soll ich mit einem Hängearsch. Poularde truffée, mein Lieber, und morgen – wird es Cervelle à la meunière geben, nach einem Rezept von Bocuse. Nur er hatte das geniale Gehirn, sich solche Rezepte zu erdenken.
    Das liegt wahrscheinlich, sagte ich, an seiner intakten Dura mater. Der Abschied war kühl.
    Am nächsten Morgen blühte ein veritabler Ekelherpes auf meiner Oberlippe, im linken Ohr klingelte der Tinnitus mit Morsezeichen unbekannter Bedeutung. Man wird für alles bestraft; den Besuch bei Lobowitz hätte ich vermeiden müssen.

 
    109 Um mich von dieser unliebsamen Erinnerung abzulenken, aß ich im Bécasse spät zu Abend (nur Gemüse), trank einen leichten Bordeaux und las in den heiteren Aufzeichnungen des Jägers Iron das Kapitel Alaska.
    In den sumpfigen Duck Flats nordöstlich von Anchorage nahe der Mündung des Knik, sehr schönes Wetter, September; hatte mir Lektüre mitgenommen, Erewhon , ein gutes Buch, in dem Samuel Butler eine Gesellschaft beschreibt, in der Kranksein bestraft wird – eine überaus vernünftige Idee. Ich suchte ein trockenes Plätzchen, um zu biwakieren. Proviant hatte ich reichlich, statt der Holland-Büchse trug ich nur einen Webley-Revolver. Am Ufer war gerade Ebbe. Der graue Schlick sah aus wie Talkumpuder.
    Nach zwei Seiten Butler hörte ich Geschrei, und ich sah zwei Männer, die einen bis zu den Schultern im Glazialschlick versunkenen Mann zu befreien trachteten und sich dabei ziemlich idiotisch anstellten.
    Sie hatten ihm ein Seil zugeworfen, das sich um seinen Hals geschlungen hatte. Seine Arme staken im Sumpf, so dass er sich nicht aus der Schlinge zu befreien vermochte.
    An Jagdkatastrophen, die einem nicht selber zustoßen, immer interessiert, ging ich näher, meinen Butler in der Hand. Der Mann, der das Lasso so geschickt geworfen hatte, stand bis zu den Hüften im Schlick und zog mit aller Kraft am Seil. So konnte die Rettungsaktion nicht gelingen. Sie blökten panisch durcheinander. Am Ufer lag ein Haufen toter Enten, ein paar zuckten noch, ganz miese Schützen.
    Ihre Flinten hatten sie neben ihre Beute geworfen.
    Der Bärtige, der das Seil hielt, wurde Bob genannt; der Bursche, der komplett mit beiden Armen im Sumpf versank (Gott weiß, wie er das geschafft hatte), hieß Burt; der Bursche, der nun wieder Bob mit beiden Händen am Gürtel hielt, wurde Bull genannt.
    Es war insgesamt ein bemerkenswertes Tableau, wie man es in der Wildnis nur selten antrifft.
    Bull war rasiert (man muss auch in der Natur auf sich halten) und sagte über die Schulter: Helfen Sie uns, Sir.
    Nach diesem Satz stolperte er und fiel auf Bob mit dem Seil. Nun saßen sie alle drei im glazialen Schlick – aber immerhin lockerte sich das Seil um Burts Hals, sein Kopf war schon rot angelaufen, kein schöner Anblick.
    Alle drei waren fett, Burt, Bob und Bull, und der Schlick hielt sie eisern fest, während sie mählich in die Bodenlosigkeit sanken.
    Dumme Situation, sagte ich, aber, meine Herren, wie könnte ich

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