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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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einfach ab in die gedachte künftige Vergangenheit. – So wird es gewesen sein, wenn alles vorbei ist.
    Die späteren Notizen geben meiner Interpretation recht, wie man sehen wird.
    Leider habe ich immer noch nicht die heiß-kalte Stelle im Diary gefunden, die mich dazu inspirierte, meinen Schmarotzer Passow ohne jede Rücksicht zu entfernen, d.h. entfernen zu lassen.
    Um endlich meine verfluchten Erinnerungen an die Berliner Kalamitäten zu reaktivieren, brauchte ich diese Passage; nach meiner Erinnerung, lesend in meinen Sofatälern auf dem Dachboden vor einem Jahr, erzeugte ein einziger Edwardscher Satzpartikel die Initialzündung. Doch weiter im Text und der Stimme aus der Vergangenheit ist doch jede vergangene Minute pures Präteritum.

 
    55 Während Strehlows monologischen und monomanischen Nekrologs beobachtete ich sorgsam mein recht reduziertes Personal. Der Anfang der Rede war harmlos –:
Freunde, wir haben einen Freund zu beklagen.
Dann geriet der Baron ins richtige Fahrwasser und fuhr fort:
Es ist allein der Tod, der manche Lebenssituation verbessert. Sie alle wissen, von wem ich spreche. Die Frage ist, was noch von ihm west, seelisch oder spirituell, hier, mitten unter uns in der Kapelle, während es draußen schneit und der Schnee sich wie ein Leichentuch über Mensch und Tier legt, auf Weiden und Sümpfe, Bäume und Pflanzen, über Gebäude und Gelände, Weiden, Wiesen, Sümpfe …
Er bemerkte die leicht zirkuläre Rhetorik rechtzeitig und überließ den Satzschwanz seinem Schicksal.
Wer war dieses Geschöpf, was war es, woher kam es, und warum ist es nicht dort geblieben?, das sind existenzielle Fragen, die uns alle berühren, während unbarmherzig der Schnee fällt, der uns einstmals alle wird decken.
Die Gemeinde war nahe am Einschlafen; Schnee-Metaphern wirken auch dann langweilig, wenn man sie mit gesamtthanatologischen Ideen kombiniert.
Er fuhr mit ein wenig mehr Feuer fort –:
Mit rastloser Energie, unerschöpflicher Geduld und fanatischem Fleiß trieb er nicht ohne Bosheit oder andere höhere Schlauheiten sein Lebtag sinn- und sittenlose Dinge. Wenn ich sage an dieser Stelle: Edward ist – Pardon, Jenkins ist nicht mehr, ja, wo ist er dann? Weilt seine schmutzige Seele – und das war sie! – noch mit einem Restbestand in seiner toten Hülle? Edw – Pardon – ich meine, Jenkins war in seinen Mußestunden ein durchaus kontemplativer Typus, wie man ihn nicht alle Tage findet. Er litt, ich kannte ihn gut, leider!, muss ich sagen, unter vielen Phobien, vor allem gegen Mitbewohner.
Der weise Brehm sagt in seinem Illustrierten Thierleben schon lange vor Ed – äh – Jenkins’ Geburt – ich zitiere aus Brehm II, S. 71 –:
In dieser Affengruppe – er meint die Paviane oder Hundsköpfe – finden wir die hässlichsten, rüdesten, flegelhaftesten und deshalb widerwärtigsten Mitglieder der ganzen Ordnung … Brehm siedelt sie auf der tiefsten Stufe an und sagt zum Schlusse des Abschnitts –: Jede edlere Form ist hier verwischt und jede edlere Geist-Fähigkeit in der Unbändigkeit der scheußlichsten Leidenschaften untergegangen …
Doch entsinnen wir uns an diesem Tag auch seiner wenigen guten Eigenschaften. Er hatte einen düsteren Humor, und er liebte die Blumen, darin, sage ich, war er Mensch!
Das Tier kennt die höheren Moralen nicht; Religionen strenger Provenienz sprechen ihm die Seele ab, dieser Meinung folge ich nicht vollständig – ich kannte Tiere, die seelisch begabt waren … aber nicht Ed – hm – Jenkins.
Immer wenn der Baron sich versprach, richtete die Gemeinde Blicke auf mich im Scherenstuhl; man hob die Brauen, man runzelte die Stirn, man zuckte mit den Achseln, aber eigentlich wurde die Rede mit Wohlwollen aufgenommen. Leicht schwankend, fuhr Strehlow fort; er hatte noch viele Blätter in petto.
Das seelische Vermögen bildet den Charakter, der Charakter bestimmt unbeirrbar die Moral … das sagte Goethe, das sagte auch Rudolf Steiner, das sagte Konfuzius und auch Jesus, von Moses ganz zu schweigen.
Er war gottlos!
Nun kann man als Mensch auch denken und fühlen ohne einen Gott, aber dieser Affe glaubte nicht einmal an das gasförmige Wirbeltier Haeckels oder Himmel und Hölle, die da alle irgendwie definiert – er war böse! Er verübte seine Untaten mit kaltem Vergnügen – er wird niemals ins Paradies kommen!
Vor einem Jahr brach er – ja, es war Jenkins! Niemand anders – in meine Studierstube im östlichen Turm ein und vernichtete das grundstürzende Werk

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