Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)
durcheinandergeraten; nach dem Tremor zu urteilen, hatte er eine Menge Brandy intus.
Alle, alle waren sie gekommen; ich holte mein Merkbuch aus der Manteltasche und notierte:
Idee, wenn dies meine Trauerfeier, wäre das Volk nicht so zahlreich erschienen …
Kustos Rall, bon, samt Inhalator wegen der Bücherstaublunge und seines Asthmas;
Malmot ist gekommen, trotz Abneigung gegen den Toten, gut so.
Dr. Mauser hockt neben Dr. Stache, der seinen Geigenkasten wie ein totes Baby im Arm hält; neben ihm der Veterinär und Todesengel Schmitt, hat die Augen geschlossen, wahrscheinlich eingeschlummert und in Träumen von gelungenen Einschläferungen.
Hinter ihm Nancy mit ihrer Nichte (die Bea heißt, wie ich später erfuhr); Nancy pennte auch, die Nichte bohrte seinsverloren in der Nase.
53 Frécot, der ingeniöse Taxidermist und zuverlässige Pendler zwischen drei Welten, kraulte sich mit den Fingerspitzen seinen wolligen Backenbart; Grablegung, Ausstopfen, Feuer oder Küche; mehr Optionen gibt es nicht, und die Entscheidung, welches Tier nach seinem Ableben wo landen sollte, machte sich Frécot nie leicht. Als die Giraffe Livingstone dahinging – Beinbruch, so dass Schmitt seine milde Tätigkeit entfalten musste –, verarbeitete Nancy Livingstone nach Rezepten des Apicius. Der pochierte, mit Schneehuhn gefüllte Hals traf nicht jedermanns Geschmack, aber insgesamt war das Riesentier sehr ergiebig.
Da saß auch Heyse, ein guter Zoologe und lausiger Linguist; er spielte nervös an seiner Querflöte, als mache ihm der Gedanke an Purcell Lampenfieber.
Neben ihm – mit Abstand – hatte sich der Schauspieler Pooley niedergelassen; immer noch gekränkt, weil sich die Primaten als so primitive Rezipienten seiner ingeniösen Klassiker-Inszenierungen erwiesen (da hätte er auch in London bleiben können, sagte er) –, meine Güte, war das lange her.
Wusste aber nicht, wie lang –, die Zeit frisst die Daten und die Bilder verblassen, ach ja.
Eine Überraschung. Wer hockte auf der letzten Bank neben dem Eingang zur Kapelle – mein Bruder Robert, der Dichter, der Poet, der Romancier; hatte ihn seit zwei Jahren nicht gesehen, keine Ahnung, welcher Zufall ihn herwehte. Bestimmt nicht der Tod des armen Jenkins.
Bat ihn vor zehn Jahren, über unsere klösterliche Enklave – Tier, Mensch und Forschungen – zu schreiben, eine petite histoire für den Hausgebrauch, aber der indolente Halunke brachte nichts zustande, bastelte stattdessen öde Gedichte ohne Reime, aber immer zuverlässig elegisch – eine Zeile fiel mir ein – «Müde dieser alten Welt» usw. So ein Zeugs eben. Machte ihm (gegen Honorar) den Vorschlag, wenigstens die Chronik des Hauses Singram zu schreiben, von der Sanierung der alten Klosteranlage durch Iron S. bis jetzt. Nichts!
Robert interessierte sich weder für Baisse oder Hausse im Gestöber der Schicksale, haken wir ihn ab. Hoffte, dass er nicht wieder schnorren wollte.
Guter Einfall – gegen ein Taschengeld oder gegen die Erstattung der Reisekosten könnte der Poet ein paar Elegien auf dahingeschiedene Tiere anfertigen; verstehe ja nix von der Sache, habe aber mal gelesen, dass so eine Elegie strenge Formen verlangt, könnte ihn zur Disziplin zwingen.
Der Photograph Huxley streunte in den Seitengängen des kleinen Kapellenschiffs herum (romanisch, glaube ich), bewaffnet mit einer großen Balgenkamara, photographierte er unsere kleine Gemeinde …
Das sollte unser drittletzter Akt werden – Akt II (Leichenschmaus) und Akt III (Finale) sollten folgen.
Ich gab Strehlow das Zeichen. Strehlow hielt in der rechten Hand das endlich geordnete Manuskript, hustete in die linke hohle Hand und sagte:
Freunde, wir haben einen Freund zu beklagen –
– hier ergab sich eine atmosphärische Störung durch das Auftreten des Truthahns Beowulf, der hinter dem Weihwasserbecken geschlafen hatte. Es ist nicht anzunehmen, dass er kondolieren wollte. Jenkins hatte ihm vor einem Jahr im Frühling vier Schwanzdeckfedern ausgerupft und sich damit vor Beowulfs Augen den nackten Arsch gekitzelt. Nun stolzierte der bis zum Sarg, schlug ein Rad, kollerte laut und schritt wie ein Snob davon.
Tja, dann kam die Rede von Strehlow, seine Rache-Suada, lauter vergiftete Pfeile, aber was soll ich sagen – im großen Ganzen hatte er recht.
54 Der Tempus-Wechsel, den sich Grandpère Edward beim Schreiben über die Macken, Obsessionen, Passionen und Blödheiten seines Personals leistet, ist für mich kein Stilbruch.
Er taucht
Weitere Kostenlose Bücher