Traveler - das Finale
Rauschen des Wassers mischten sich der Wind und der schwache Nachhall von Gelächter, das aus irgendeinem Fernseher kam.
Sie gingen am Bach entlang bergan und kamen an einem Gemeindezentrum und einem großflächigen Friedhof mit
Buddhastatuen und von Flechten bewachsenen Grabsteinen vorbei. Das zweistöckige Haus von Tante Kimiko stand mitten auf dem Friedhof und war das letzte in der Schlucht. So wie die meisten Hausbesitzer auch hatte sie jeden Dachziegel mit einem schwarzen Stein beschwert. Die Steine sollten die Schindeln an ihrem Platz halten und verliehen dem Dach das Aussehen eines merkwürdigen Brettspiels, das auf die Rückkehr der Spieler wartet.
Keine der Türen im Dorf hatte ein Schloss, dafür wurden sie mit hölzernen Riegeln geschlossen. Billy streifte seine verdreckten Schuhe ab und betrat das Haus, ohne anzuklopfen. Hollis blieb allein auf der Schwelle zurück und lauschte der Frauenstimme von drinnen. Sie klang hell und fröhlich, so als sei Billys Erscheinen ein unerwartetes Geschenk. Ein paar Minuten später kam eine ältere Japanerin zur Haustür geeilt. Sie war klein wie ein Kind, verbeugte sich und hieß den Gast willkommen.
Billy verbrachte ein paar Tage auf der Insel und kehrte dann nach Tokio zurück. Er würde die anderen Rockabilly-Tänzer aus dem Park kontaktieren und in Erfahrung bringen, auf welche Weise ein Ausländer das Land unbemerkt verlassen könnte. Hollis erkundete Shukunegi und bekam bald die Gelegenheit, sich im Dorf nützlich zu machen. Eine backsteinerne Stützmauer am Fuß der Felsen hatte zu bröckeln angefangen. Er würde sich Werkzeug von Tante Kimiko leihen, die Mauer einreißen und eine neue bauen. Die Tatsache, dass der starke Fremde sich anbot, eine so schwierige Aufgabe kostenlos zu übernehmen, freute die Dorfbewohner sehr.
Tante Kimiko stand jeden Morgen um sechs Uhr auf. Sie servierte Hollis ein Frühstück aus klebrigem Reis, Misosuppe und einer dritten Komponente, die ihn stets aufs Neue überraschte. Einmal bereitete sie eine riesige Meeresschnecke für ihn zu und beobachtete zufrieden, wie er das bräunliche
Fleisch aus der schwarzen Schale riss. Nach dem Frühstück legte Hollis ein paar Trainingseinheiten ein, dann trug er sein Werkzeug zur Stützmauer. Meistens saßen zwei oder drei alte Frauen mit rosa Gummistiefeln auf einer Bank und schauten ihm bei der Arbeit zu. Nie zuvor war sich Hollis seines Körpers so bewusst gewesen, der Kraft in seinen Armen und Beinen. Wann immer er einen schweren Gegenstand hob, ging ein Raunen durch die kleine Zuschauermenge, und die Alten klatschten beifällig in die Hände.
Die tägliche Arbeit beruhigte ihn und lenkte sein Leben in geordnete Bahnen. Zunächst hob er einen Graben aus, dann verlegte er die Ziegel. Den Hohlraum hinter der Mauer füllte er mit Kieseln, die er eimerweise vom Strand heraufschleppte. Hollis führte seine Arbeit langsam und gründlich aus, er spannte sogar einen Faden über den Grund, damit das Mauerfundament gerade würde. Als er den Beton anmischte und auf den Ziegeln verteilte, stieg seine eigene Vergangenheit in einer neuen Klarheit vor ihm auf.
Vicki hatte gesagt, er sei auf dem rechten Weg. Wenn du dich daran erinnerst, wer du bist, wirst du wissen, was zu tun ist.
Wer bin ich?, fragte Hollis sich. In Los Angeles hatte er seine Schüler gelehrt, niemals Gewalt einzusetzen, um ein negatives Ziel zu erreichen. Ein echter Krieger benutzte sein Herz und seinen Verstand. Ein echter Krieger ruhte in sich und ließ sich niemals von seiner Wut hinreißen. Hollis erinnerte sich daran, mit einem Scharfschützengewehr auf einem Londoner Dach gestanden zu haben, und plötzlich schämte er sich.
Mehr Ziegel, noch mehr Beton. Die Wand soll noch höher werden. Gerade und aufrecht.
Seit fünfzehn Tagen war er nun im Dorf. Am Vormittag arbeitete er an der Mauer, dann aß er ein wenig Reis und Tempura und ging auf dem Friedhof spazieren, der das Haus umgab. Verwelkte Blumen. Alte Münzen in einem rostigen Kessel, in
dem sich das Regenwasser sammelte. Eine Reihe untersetzter Steinbuddhas mit weißen Baumwollhüten und Stofflätzchen um den Hals.
Er verließ das Dorf durchs Tor und spazierte am Meer entlang bis zu einem schwarzen Sandstrand, der mit Plastikflaschen, alten Autoreifen und anderem Abfall der modernen Welt übersät war. Die Kiefern standen seitlich aus den Felsen wie Bonsai, und die Wellen warfen sich mit einem sanften Plätschern auf den Strand.
»Eines musst du wissen,
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