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Traveler - das Finale

Traveler - das Finale

Titel: Traveler - das Finale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag <München>
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nichts als den Wind, der durch die Ritzen in den Fensterläden pfiff.
    Er ließ seine Hand über die Steppdecke gleiten, bis er die Pistole gefunden hatte, die am Rand der Tatami-Matte lag. Sie erinnerte ihn daran, dass er immer noch auf der Flucht war. Hollis holte tief Luft und versuchte, sich zu entspannen, aber er hatte das Gefühl, der Schlaf habe sich in ein fernes, für ihn unerreichbares Land zurückgezogen. Und dann kam ihm wieder der Gesang der Itako in den Sinn und das Klicken ihrer Gebetsperlen. Er erinnerte sich an die toten Augen der alten Frau, und an Vickis Stimme, die aus ihrem Mund gekommen war.
     
    Als die Itako das Ritual beendet hatte, war Hollis aus dem Haus gewankt. Monatelang hatte eine anhaltende Wut sein Handeln bestimmt und ihm Kraft verliehen. Nun war diese Wut verflogen, und er fühlte sich nur noch müde und verwirrt. Billy Hirano stand neben ihm auf der Landstraße und starrte ihn ratlos an. Der Auspuff des Taxis qualmte, aber Hollis machte keine Anstalten einzusteigen.
    »Ich muss für eine Weile untertauchen«, sagte er. »Kennst du ein gutes Versteck?«

    Billy zog ein Gesicht wie ein Arzt, dem man soeben eine komplizierte, medizinische Frage gestellt hat. Er steckte die Hände in die Hosentaschen, lief ein Mal auf und ab und kickte ein Steinchen in den Straßengraben. »Es ist gefährlich, sich in einer japanischen Stadt zu verstecken. Überall ist Polizei, und du würdest sofort erkannt. Auf dem Dorf würden die Leute ebenfalls zu fragen anfangen. Aber vielleicht kann ich dich auf die Insel Sado bringen.«
    »Wo liegt sie?«
    »Vor der Westküste Japans. Meine Tante lebt dort in einem Dorf namens Shukunegi. Im Sommer besuchen Tausende von Touristen die Insel, aber jetzt sind nur die Fischer dort.«
    »Was wird sie sagen, wenn ich dort auftauche?«
    »In Shukunegi gibt es Fernseher, aber dort lässt sich nur ein Programm empfangen. Im Dorf leben nur alte Leute. Die schauen die Gameshows, die Nachrichten sind denen egal.«
    »Trotzdem werde ich an so einem Ort auffallen.«
    »Natürlich wirst du das.« Billy grinste. »Du wirst das Gesprächsthema Nummer eins sein. Die Ausländer bei ihren Patzern zu beobachten ist ein beliebter japanischer Zeitvertreib. Aber auf den Inseln leben die Leute sehr für sich. Sie wollen mit der Polizei nichts zu tun haben.«
    Sie traten die Zugreise an und mussten mehrfach umsteigen, um über die Berge bis ins westliche Japan zu gelangen. Die Felder an der Bahnstrecke waren mit weißen Plastikplanen abgedeckt, so als müsse man den Boden sehr langsam an das Sonnenlicht gewöhnen. Die Schaffner starrten den schwarzen Ausländer misstrauisch an, aber Billy erklärte ihnen, Hollis sei ein amerikanischer Choreograf, der nach Japan gekommen war, um die traditionellen Volkstänze zu erlernen.
    Die Fähre zur Insel Sado wurde von Windstößen geschüttelt, die Schnee und Regen mitbrachten. Einmal brach die Sonne durch die dicke Wolkendecke, und das Licht, Bote
einer göttlichen Macht, ergoss sich auf die graugrüne Meeresoberfläche. Hollis bezweifelte, dass irgendjemand außer ihm das Spektakel bemerkte, denn die anderen Passagiere lagen dösend in dem mit Teppich ausgelegten Fernsehraum und schauten sich Musikvideos an. Er fragte sich, ob er das große Geheimnis der Geschichte durchschaut hatte: Dramatische Veränderungen geschahen, während die meisten Menschen das Leben verschliefen.
    »Was passiert, wenn wir auf der Insel angekommen sind?«
    »Wir fahren mit dem Bus ins Dorf und gehen zu meiner Tante Kimiko.«
    »Was, wenn sie mich nicht mag?«
    »Hollis, du bist mein Freund. Mehr brauche ich ihr nicht zu erklären. Für ein paar Tage werden wir wie Gäste behandelt, und dann müssen wir mit anpacken.«
     
    Am Abend erreichten sie Shukunegi. Das Dorf bestand aus ungefähr fünfzig eng beieinanderstehenden Häuschen in einer küstennahen Schlucht. Am Eingang der Schlucht hatten die Fischer einen Bambuswall errichtet, in dessen Mitte sich ein Tor befand. Der Wall verlieh dem Dorf das Aussehen einer zum Schutz vor einfallenden Barbaren gebauten Festung, aber der wahre Feind waren die eisigen Stürme, die aus Sibirien angerauscht kamen und hier auf die Westküste der Insel trafen.
    Billy führte Hollis durch das Tor ins Dorf. Die modern wirkenden, zweistöckigen Häuser verfügten über Strom und fließend Wasser, waren aber sehr dicht aneinandergebaut und nur durch schmale, nicht asphaltierte Gassen getrennt. Durch Shukunegi floss ein Bach, und in das

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