Traveler - das Finale
Pfefferspray war, dass die Demonstranten nie wussten, ob und wann sie zum Einsatz kamen. Traf die Menge hingegen auf Polizisten, die mit Plastikschilden und den weißen Lanzen ausgerüstet waren, konnte sie die Strafe unmittelbar und unaufhaltsam auf sich zurücken sehen. Hielt man den Leuten die Lanze vors Gesicht, brachen sie normalerweise in Panik aus und rannten davon.
Boone zog ein kleines Fernglas heraus und inspizierte das Verwaltungsgebäude. Der Fahrer, ein Thai namens Sunchai, hatte den Lieferwagen neben dem Gefängnistor geparkt. Boone warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Falls alles nach Plan lief, würde Doyle in fünf bis zehn Minuten herauskommen.
»Bereit?«, fragte er die Australier. »Wir warten, bis der Lieferwagen den Parkplatz verlassen hat und bleiben etwa einhundert Meter dahinter. Ich weiß, es ist heiß, aber Sie müssen unbedingt Ihre Motorradhelme tragen. Ich möchte nicht, dass Doyle beim Blick in den Rückspiegel drei Ausländer erkennt.«
»Wann wird er versuchen zu fliehen?«, fragte Horsley.
»Das weiß ich nicht. Bei diesem Verkehr braucht man von hier bis zum Flughafen zwei Stunden.«
»Und er wird ganz sicher fliehen?«
»Im Leben ist nur das Wenigste sicher, Mr. Horsley.«
»Das Ganze ergibt doch keinen Sinn. Wir sollten dem Wichser, wenn er da rauskommt, Handschellen anlegen, ihm
einen Sack über den Kopf ziehen und ihn in den Lieferwagen werfen. Stattdessen fahren wir mit diesen Kuhtreiberstöcken durch die Gegend.«
Squire hob die Hände, als versuche er, einen ausgebüxten Einkaufswagen einzufangen. »Ryan will nicht anmaßend sein, Mr. Boone, er ist einfach ein neugieriger Mensch.«
»Nehmen wir mal an, Ihr Nachbar besitzt einen bissigen Hund«, sagte Boone. »Und diesen Hund lässt er frei herumlaufen. Würden Sie das nicht für unverantwortlich halten?«
»Na klar«, sagte Horsley, »ich würde zur Schaufel greifen und das Mistviech erschlagen.«
»Wir wollen Mr. Doyle aber nicht erschlagen. Wir wollen ihm nur zeigen, dass negatives Verhalten negative Konsequenzen nach sich zieht.«
»Ich verstehe«, sagte Squire und wandte sich seinem jungen Freund zu, »dasselbe haben sie uns damals beim Konfirmandenunterricht auch gesagt. Wir wollen, dass der Mistkerl den Zorn des gerechten Gottes zu spüren bekommt.«
Sein Communicator fing zu piepen an, deswegen ging Boone um den Baum herum und lehnte sich an den Stamm. Das Londoner Team hatte ihm eine dringende Nachricht geschickt: HSC Columba . Bilder angehängt.
Vor drei Monaten hatten Boone und Michael Skellig Columba verlassen und Matthew Corrigans Körper mitgenommen. Bevor der Helikopter abhob, um sie zum Festland zurückzubringen, hatte Boone einen seiner Männer zum Anleger hinuntergeschickt, um eine HSC, eine versteckte Überwachungskamera, zu installieren. Das Gerät verfügte über einen Akku und eine Solarzelle, um sich selbsttätig wieder aufzuladen. Es machte nur Aufnahmen, wenn ein Bewegungsmelder die Kamera aktivierte.
Ein rotes Blütenblatt landete auf Boones Schulter. Er schaute zu dem Ast direkt über seinem Kopf hinauf, auf dem zwei kichernde Mädchen saßen. Der Baum hing voller Kinder,
weitere hockten zu seinen Füßen im Dreck. Boone versuchte, sie zu ignorieren, während er die achtzehn an die Mail angehängten Fotos studierte. Die ersten Bilder zeigten einen älteren Mann, der Vorratskisten aus einem Fischerboot lud. Auf dem sechsten Foto stand eine Gruppe von Nonnen auf dem Anleger. Der Tag musste windig gewesen sein, denn ihre Schleier und Roben flatterten. Die Nonnen sahen wie riesige, schwarze Vögel aus, die sich jeden Moment in die Wolken erheben.
Auf dem vierzehnten Bild war ein neues Gesicht zu sehen, eine kleine Asiatin mit Jeans und Steppjacke. Boone legte ein Raster über das Gesicht des Mädchens und vergrößerte den Ausschnitt. Ja, er kannte es. Es war das Kind, das er in einem Unterrichtsraum in New Harmony gesehen hatte. Es war in Begleitung von Maya in der New Yorker U-Bahn verschwunden, und nun war es auf der Insel wieder aufgetaucht.
Das Mädchen in der Steppjacke stellte für die Bruderschaft eine Bedrohung dar. Sollte sein Augenzeugenbericht jemals ins Internet durchsickern, würde die Öffentlichkeit die sorgfältig konstruierten Erklärungen für das Massaker in New Harmony infrage stellen. Den Angaben der Polizei des Bundesstaates Arizona zufolge hatte eine gefährliche Sekte kollektiv Selbstmord begangen, und kein Journalist hatte diese Erklärung jemals
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