Traveler - Roman
Vorstadt von Los Angeles.
Die Corrigan-Brüder hatten die Verpflichtung, sich um ihre Mutter zu kümmern, aufgeteilt. Gabriel besuchte sie jeden zweiten Tag und hielt Kontakt mit dem Personal. Sein älterer Bruder kam einmal pro Woche vorbei und übernahm alle Kosten. Michael war Ärzten und Krankenschwestern gegenüber
prinzipiell misstrauisch. Wann immer er den Eindruck hatte, dass sie es an der nötigen Sorgfalt fehlen ließen, suchte er ein anderes Pflegeheim für ihre Mutter.
»Sie will dort nicht weg.«
»Das soll sie auch nicht. Ich verlange bloß von den Ärzten, dass sie ihre Arbeit tun.«
»Seit die Chemo zu Ende ist, hat sie kaum noch mit Ärzten zu tun. Die Pflegerinnen und Pfleger kümmern sich um sie.«
»Sollte es auch nur das kleinste Problem geben, melde dich sofort bei mir. Und pass auf dich auf. Arbeitest du heute?«
»Ja, hab ich vor.«
»Das Feuer in Malibu wird immer schlimmer, und jetzt ist auch noch ein zweites im Osten der Stadt ausgebrochen, in der Nähe vom Lake Arrowhead. Scheint so, als wären alle Pyromanen draußen unterwegs. Liegt wohl am Wetter.«
»Ich hab von Feuer geträumt«, sagte Gabriel. »Ich war wieder in unserem alten Haus in South Dakota. Es brannte lichterloh, und ich saß drinnen fest.«
»Du musst aufhören, darüber nachzudenken, Gabe. Das ist reine Zeitverschwendung.«
»Willst du denn nicht wissen, wer der Täter war?«
»Mom hat uns ein Dutzend mögliche Erklärungen geliefert. Such dir eine davon aus, und vergiss die Sache.« In Michaels Wohnung klingelte ein anderes Telefon. »Lass dein Handy an«, sagte er. »Ich melde mich heute Nachmittag wieder.«
Gabriel duschte, zog eine Sporthose und ein T-Shirt an und ging in die Küche. Er machte sich im Elektromixer einen Milkshake mit Joghurt und zwei Bananen. Während er ihn trank, goss er sämtliche Hängepflanzen. Anschließend zog er sich im Schlafzimmer richtig an. Wenn Gabriel nackt war, sah man die Narben von seinem letzten Motorradunfall: blasse Linien auf seinem linken Bein und linken Arm. Sein lockiges braunes Haar und seine glatte Haut verliehen ihm ein jungenhaftes
Aussehen, das sich aber änderte, sobald er Jeans, ein langärmeliges T-Shirt und schwere Motorradstiefel trug. Die Stiefel waren durch Gabriels Angewohnheit, sich tief in Kurven zu legen, abgeschabt und zerkratzt. Seine Lederjacke sah ebenfalls abgestoßen aus, und die Manschetten und Ärmel wiesen Maschinenölflecken auf. An seine beiden Handys war je ein Kopfhörer mit eingebautem Mikro angeschlossen. Berufliche Anrufe gingen ins linke Ohr, private ins rechte. Wenn unterwegs eines der Telefone klingelte, brauchte er nur auf die entsprechende Seitentasche zu drücken.
Nachdem er sich für einen seiner Motorradhelme entschieden hatte, ging Gabriel nach draußen. Es war Oktober, und aus den Canyons nördlich der Stadt wehte der heiße, staubige Santa-Ana-Wind herüber. Der Himmel über ihm war wolkenlos, aber als Gabriel nach Westen blickte, entdeckte er in Richtung Malibu eine dunkelgraue Rauchwolke. Er spürte ein Gefühl von Beengtheit und Beklemmung, so als hätte sich die Stadt in einen riesigen, fensterlosen Raum verwandelt.
Gabriel öffnete die Garagentür und betrachtete seine drei Motorräder. Wenn er in einer ihm unbekannten Gegend parken musste, nahm er meist die Yamaha RD 400. Es war sein kleinstes Motorrad, verbeult und launisch. Nur ein besonders dummer Dieb würde so einen Schrotthaufen klauen. Er besaß auch eine Moto Guzzi V11, ein PS-starkes, italienisches Motorrad mit Kardanwellenantrieb. Er benutzte es fast ausschließlich am Wochenende, wenn er lange Touren durch die Wüste unternahm. An diesem Morgen entschied er sich für seine Honda 600, ein mittelgroßes Sportbike, mit dem man problemlos über hundertfünfzig Stundenkilometer fahren konnte. Gabriel bockte das Hinterrad auf, sprayte Schmieröl auf die Kette und wartete einen Moment, damit die Flüssigkeitvollständig in die Ritzen zwischen den einzelnen Gliedern eindrang. Bei der Honda gab es regelmäßig Probleme mit der Antriebskette, deshalb nahm er einen Schraubenzieher und einen
Engländer vom Arbeitstisch und steckte beides in seine Kuriertasche. Kaum war er aufgestiegen und hatte die Maschine gestartet, entspannte er sich. Das Motorradfahren gab ihm stets das Gefühl, das Haus und die Stadt für immer verlassen und einfach so lange weiterfahren zu können, bis er in dem dunklen Dunst am Horizont verschwunden wäre.
Ohne ein festes Fahrziel zu
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