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Traveler - Roman

Traveler - Roman

Titel: Traveler - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag <München>
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haben, bog Gabriel in westlicher Richtung in den Santa Monica Boulevard ab. Die morgendliche Rushhour hatte eingesetzt. Frauen, die aus Edelstahlbechern Kaffee tranken, fuhren in ihren Geländewagen zur Arbeit, und an den Straßenecken standen Schülerlotsen mit grellen Sicherheitswesten. Als Gabriel an einer roten Ampel halten musste, griff er in eine seiner Taschen und schaltete das Geschäftshandy ein.
    Er arbeitete für zwei Kurierdienste: Sir Speedy und die Konkurrenzfirma, Blue Sky Messengers. Sir Speedy gehörte Artie Dressler, einem hundertsiebzig Kilo schweren Exanwalt, der sein Haus im Silver Lake District so gut wie nie verließ. Artie war Kunde mehrerer nicht jugendfreier Websites und hatte die Angewohnheit, gleichzeitig zu telefonieren und nackten Collegegirls dabei zuzusehen, wie sie sich die Fußnägel lackierten. Er hasste Blue Sky Messengers und deren Inhaberin Laura Thompson. Laura, die früher als Cutterin gearbeitet hatte, bewohnte ein Kuppelhaus oben im Topanga Canyon. Sie glaubte an die segensreiche Wirkung von Darmreinigungen und aß bevorzugt orangefarbene Lebensmittel.
    Als die Ampel auf Grün umsprang, klingelte das Handy, und er hörte Arties rauen New-Jersey-Dialekt im Kopfhörer. »Gabe! Ich bin’s! Wieso war dein Handy vorhin aus?«
    »Tut mir Leid. War keine Absicht.«
    »Ich guck mir gerade eine Livecam-Aufnahme an. Zwei Mädchen, die zusammen duschen. Fing ganz gut an, aber inzwischen hat sich der Dampf auf die Linse gelegt.«

    »Klingt interessant.«
    »Ich hab einen Job für dich im Santa Monica Canyon.«
    »In der Nähe vom Feuer?«
    »Nee. Kilometerweit davon entfernt. Kein Problem. Aber jetzt ist auch noch ein Feuer im Simi Valley ausgebrochen und total außer Kontrolle geraten.«
    Das Motorrad hatte einen kurzen Lenker, und die Fußstützen waren so weit hinten angebracht, dass Gabriel nach vorn gebeugt auf dem Sitz saß. Er spürte das Vibrieren des Motors, hörte das Wechseln der Gänge. Fuhr er schnell genug, wurde die Maschine ein Teil von ihm, so als hätte sein Körper sich ausgedehnt. Wenn er auf der durchbrochenen Linie zwischen den Fahrbahnen entlangfuhr, war das äußere Ende seiner Lenkradgriffe manchmal nur wenige Zentimeter von den Autos neben ihm entfernt. Er blickte die Straße hinunter, sah Ampeln, Fußgänger, langsam abbiegende Lkws und wusste instinktiv, ob es am besten war zu bremsen, zu beschleunigen oder auszuweichen.
    Die Hänge des Santa Monica Canyon waren mit teuren Villen bebaut, die eine zweispurige, zum Strand hinunterführende Straße säumten. Gabriel steckte den braunen Umschlag ein, der vor einer der Haustüren lag, und brachte ihn zu einem Hypothekenmakler in West Hollywood. Bei der Adresse angekommen, nahm er seinen Helm ab und betrat das Firmengebäude. Diesen Teil seines Jobs verabscheute er. Auf dem Motorrad hatte er die Freiheit, überallhin zu fahren. Vor dem Empfangstresen fühlte er sich jedoch unbeholfen, durch die schweren Stiefel und die Lederjacke in seiner Beweglichkeit eingeschränkt.
    Zurück aufs Motorrad. Den Kickstarter treten. In Bewegung bleiben. »Kannst du mich hören, lieber Gabriel?« Lauras beruhigende Stimme drang aus dem Kopfhörer. »Ich hoffe, du hast heute Morgen gut gefrühstückt. Komplexe Kohlenhydrate helfen, den Blutzuckerspiegel zu stabilisieren.«

    »Keine Sorge. Ich hab etwas gegessen.«
    »Das freut mich. Ich habe einen Job für dich in Culver City.«
    Gabriel kannte die Adresse ganz genau. Er verabredete sich gelegentlich mit Frauen, die er beim Abholen oder Abliefern von Sendungen kennen lernte, aber nur mit einer von ihnen, einer Strafverteidigerin namens Maggie Resnick, hatte er wirklich Freundschaft geschlossen. Vor etwa einem Jahr wollte er in ihrer Kanzlei etwas abholen, musste aber warten, weil ihre Sekretärin ein Dokument verlegt hatte. Maggie erkundigte sich nach seiner Arbeit, und eine Stunde später unterhielten sie sich immer noch – obwohl das fehlende Dokument längst gefunden war. Er fragte sie, ob sie Lust auf eine Spritztour mit seinem Motorrad habe, und zu seiner Überraschung sagte sie ja.
    Maggie war Anfang sechzig, klein, energiegeladen, mit einer Schwäche für rote Kleider und teure Schuhe. Artie erzählte ihm, dass Filmstars und andere Berühmtheiten sie engagierten, wenn sie in Schwierigkeiten steckten, aber Maggie sprach nur selten über ihre Fälle. Sie behandelte Gabriel, als wäre er ihr etwas missratener Lieblingsneffe. »Du solltest aufs College gehen«, meinte sie.

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