Traveler - Roman
Japaner, aber seine Mutter war noch vor seiner Geburt in die USA ausgewandert. Lawrence verabscheute Sushi und Samurai-Filme. Dann kam ein Nō-Ensemble zu einem Gastspiel an die Universität, und er erlebte einen Tag mit Theateraufführungen, die sein Leben veränderten.
Zuerst fand er die Nō-Dramen fremdartig und unverständlich. Lawrence war jedoch von den stilisierten Bewegungen der Schauspieler fasziniert, von der Tatsache, dass Männer Frauen spielten, und dem schaurigen Klang der Nokan-Flöte und der drei Trommeln. Aber vor allem die Nō-Masken waren wie eine Offenbarung für ihn. Die Darsteller von Hauptfiguren, von Frauen und Alten traten mit geschnitzten Holzmasken auf. Geister, Dämonen und Verrückte waren durch grelle Masken mit einem einzigen, starken Gefühlsausdruck gekennzeichnet, aber die meisten Schauspieler trugen Masken mit einer völlig neutralen Miene. Sogar die mittelalten Männer, die keine Masken aufhatten, bemühten sich um eine starre Miene. Jede Geste auf der Bühne, jede Handlung und Reaktion folgte einer bewussten Entscheidung.
Lawrence war kurze Zeit zuvor einer Studentenverbindung beigetreten, die besonderen Wert auf Besäufnisse und demütigende Rituale für Neulinge legte. Immer wenn er sein Spiegelbild betrachtete, sah er Unsicherheit und Verwirrung: einen jungen Mann, der stets ein Außenseiter bleiben würde. Er löste das Problem durch unsichtbare Masken. Vor dem Badezimmerspiegel studierte er Gesichtsausdrücke für Glück, Bewunderung oder Begeisterung ein. In seinem letzten Studienjahr
wurde er zum Vorsitzenden seiner Studentenverbindung gewählt, und alle seine Professoren gaben ihm ungefragt eine Empfehlung für ein Doktorandenstipendium.
Das Telefon auf seinem Tisch summte leise, und Lawrence wandte sich vom Bildschirm ab. »Wie geht es unserem Gast?«, fragte Boone.
»Er scheint wütend und etwas verängstigt zu sein.«
»Das ist gar nicht so schlecht«, meinte Boone. »Gerade ist General Nash angekommen. Bringen Sie Richardson in den Wahrheitsraum.«
Lawrence fuhr mit dem Fahrstuhl in den zweiten Stock. Genau wie bei Boone war bei ihm ein Protective Link eingepflanzt. Er schwenkte die Hand in Richtung des Sensors an der Tür. Das Schloss öffnete sich klickend, und er betrat die Suite.
Dr. Richardson wirbelte herum und kam mit ausgestrecktem Zeigefinger auf Lawrence zu. »Das ist ungeheuerlich! Mr. Boone hat mir gesagt, ich würde mit einem Vertreter der Stiftung sprechen. Stattdessen werde ich hier wie ein Verbrecher gefangen gehalten.«
»Es tut mir Leid, aber es hat eine Verzögerung gegeben«, sagte Lawrence. »General Nash ist soeben eingetroffen und möchte dringend mit Ihnen reden.«
»Meinen Sie Kennard Nash? Ihren Vorstandsvorsitzenden?«
»Genau. Sie haben ihn bestimmt schon einmal im Fernsehen gesehen.«
»Zuletzt vor mehreren Jahren.« Richardson senkte die Stimme und wirkte etwas entspannter. »Aber ich erinnere mich gut an ihn aus der Zeit, als er Berater des Präsidenten war.«
»Der General hat seit Jahrzehnten im Dienst der Öffentlichkeit gestanden. Darum war es nur folgerichtig, dass er ein
Amt bei der Evergreen Foundation übernommen hat.« Lawrence holte einen Metalldetektor aus der Tasche seines Jacketts – einen jener Apparate, der bei den Kontrollen auf Flughäfen benutzt wird. »Aus Sicherheitsgründen möchte ich Sie bitten, alle Metallgegenstände hier zu lassen. Auch Dinge wie Armbanduhr, Münzen und Gürtel. Das ist in unseren Forschungseinrichtungen so üblich.«
Hätte Lawrence ihm eine direkte Anweisung gegeben, hätte sich Richardson womöglich geweigert. Stattdessen musste er sich mit dem beiläufig vermittelten Eindruck auseinander setzen, dass es völlig normal sei, vor der Begegnung mit einer wichtigen Persönlichkeit die Armbanduhr abzulegen. Er legte alles, was Metall enthielt, auf den Tisch. Dann fuhr Lawrence mit dem Detektor am Körper des Neurologen entlang. Die beiden Männer verließen das Zimmer und gingen zum Fahrstuhl.
»Haben Sie den Inhalt der Aktenmappe gelesen?«
»Ja.«
»Ich hoffe, Sie fanden die Berichte interessant.«
»Es ist unfassbar. Wieso ist keines der Forschungsergebnisse veröffentlicht worden? Ich habe noch nie etwas über diese Traveler gelesen.«
»Die Evergreen Foundation möchte diese Informationen vorläufig geheim halten.«
»So etwas wird in Wissenschaftskreisen nicht gern gesehen, Mr. Takawa. Wichtige Entdeckungen haben ihre Ursache darin, dass Wissenschaftler auf der ganzen
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