Traveler - Roman
Richtung Stadt ein und dann auf den Sepulveda Boulevard. Es war November, und die Luft noch warm, und in jeder Windschutzscheibe und jedem Fenster spiegelte sich das Sonnenlicht. Sie durchquerten ein Viertel mit vielen zwei- und dreistöckigen Firmengebäuden. Auf der einen Straßenseite standen moderne Bürohäuser, auf der anderen gab es kleine, von Immigranten betriebene Lebensmittelläden und Nagelstudios. Kaum Menschen auf den Bürgersteigen: nur Arme, Alte und ein Verrückter mit verfilztem Haar, der aussah wie Johannes der Täufer.
»Ein paar Kilometer von hier ist ein Park«, erklärte Vicki. »Dort sind keine Überwachungskameras.«
»Wissen Sie das genau, oder ist es bloß eine Vermutung?«
»Eine Vermutung. Aber eine logische.«
Die Antwort schien den Harlequin zu amüsieren. »In Ordnung. Dann wollen wir mal sehen, wie es in Amerika um die Logik bestellt ist.«
Der Park war ein schmaler Grünstreifen bei der Loyola University. Der dazugehörige Parkplatz wirkte leer, und es schien tatsächlich keine Überwachungskameras zu geben. Nachdem die junge Frau sich sorgfältig umgesehen hatte, nahm sie die Sonnenbrille ab und die farbigen Kontaktlinsen heraus und zog schließlich eine Perücke vom Kopf. Ihre eigenen Haare waren dicht und schwarz und ihre Augen sehr hell – sie hatten nur eine leichte Blautönung. Ihr aufgequollenes Aussehen war offenbar künstlich herbeigeführt worden. Als ihr Gesicht langsam abschwoll, wirkte sie viel kräftiger und noch einschüchternder.
Vicki bemühte sich, den Behälter für das Schwert nicht anzustarren. »Haben Sie Hunger, Miss Harlequin?«
Die junge Frau stopfte gerade die Perücke in ihren Kleidersack. Erneut blickte sie in den Außenspiegel. »Ich heiße Maya.«
»Die Kirchengemeinde hat mir den Namen Victory From Sin Fraser gegeben. Aber ich bitte die meisten Leute, mich Vicki zu nennen.«
»Eine kluge Entscheidung.«
»Haben Sie Hunger, Maya?«
Statt zu antworten, holte Maya ein kleines Elektrogerät aus der Tasche, das etwa so groß wie eine Streichholzschachtel war. Sie drückte auf einen Knopf, und auf einem schmalen Display leuchteten Zahlen auf. Vicki hatte keine Ahnung, was die Zahlen bedeuteten, aber sie schienen dem Harlequin zu einer Entscheidung zu verhelfen. »Okay. Essen wir«, sagte Maya. »Fahren Sie irgendwohin, wo man sich das Essen mit ins Auto nehmen kann. Parken Sie so, dass die Kühlerhaube in Richtung Straße zeigt.«
Sie entschieden sich für einen mexikanischen Imbiss mit
Namen Tito’s Tacos. Vicki besorgte Mineralwasser und Burritos, und Maya aß mit einer kleinen Plastikgabel häppchenweise die Fleischfüllung. Da Vicki nichts Besseres einfiel, beobachtete sie die Menschen, die über den Parkplatz gingen. Eine alte Frau mit dem untersetzten Körperbau und den Indiogesichtszügen einer guatemaltekischen Bäuerin. Ein philippinisches Ehepaar mittleren Alters. Zwei junge Asiaten – vermutlich Koreaner –, die das typische Outfit schwarzer Rapper trugen, einschließlich schwerer Goldketten.
Vicki musterte den Harlequin und versuchte, selbstbewusst zu wirken. »Verraten Sie mir, warum Sie in Los Angeles sind?«
»Nein.«
»Geht es um einen Traveler? Unser Pfarrer sagt, es gibt keine Traveler mehr. Sie sind alle umgebracht worden.«
Maya ließ ihre Mineralwasserdose sinken. »Warum wollte Ihre Mutter nicht, dass Sie mich abholen?«
»The Divine Church of Isaac T. Jones lehnt Gewalt ab. In unserer Gemeinde wissen alle, dass Harlequins …« Mit verlegener Miene hielt Vicki inne.
»Menschen töten?«
»Bestimmt bekämpfen sie nur schlechte und grausame Menschen.« Vicki verstaute ihr restliches Essen in einer Papiertüte und sah Maya direkt an. »Im Gegensatz zu meiner Mutter und ihren Freundinnen glaube ich an Schuld nicht abbezahlt . Wir dürfen niemals vergessen, dass Lion of the Temple der einzige Mensch war, der genug Mut besaß, dem Propheten in der Nacht seines Märtyrertods beizustehen. Er ist im selben Feuer wie der Prophet verbrannt.«
»Was tun Sie, wenn Sie nicht gerade fremde Frauen am Flughafen abholen?«, fragte Maya.
»Ich habe im Sommer meinen Highschoolabschluss gemacht. Meine Mutter will, dass ich mich bei der Post bewerbe. Viele Mitglieder unserer Gemeinde arbeiten als Briefträger.
Es ist ein guter Job mit vielen Zusatzleistungen. Das sagt man jedenfalls.«
»Und was würden Sie selbst am liebsten tun?«
»Ich würde furchtbar gern um die Welt reisen. An all die vielen Orte, die ich nur aus dem
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