Traveler - Roman
Instinkt ist, wenn man nur reagiert. Automatisch tut man etwas aus Gewohnheit; weil man es schon einmal getan hat.«
Hollis hielt inne und starrte die vor ihm sitzenden Schüler an. Er schien sich ein Bild ihrer Stärken und Schwächen machen zu wollen. »In New Babylon halten viele eurer Bekannten ihre Handlungen für bewusst, dabei führen sie sie automatisch aus. Wie eine Horde Roboter lenken sie ihre Autos über den Freeway, erledigen ihre Arbeit, tauschen ihren Schweiß, ihren Schmerz und ihre Demütigung gegen einen Gehaltsscheck ein, fahren wieder nach Hause und lassen sich von dem künstlichen Gelächter aus ihren Fernsehgeräten betäuben. Sie sind schon tot. Oder am Sterben. Nur dass sie das nicht merken.
Dann gibt es andere Menschen: die Partyboys und Partygirls. Rauch ein bisschen Gras. Trink einen Whisky. Sei auf schnellen Sex aus. Sie bilden sich ein, nach ihren Instinkten zu handeln, ihre natürlichen Energien auszuleben, aber wisst ihr was? Auch sie funktionieren automatisch.
Der Krieger ist anders. Der Krieger verlässt sich auf sein Gehirn, um bewusst zu handeln, und auf sein Herz, um seinen Instinkten zu folgen. Krieger tun nie etwas automatisch, höchstens beim Zähneputzen.«
Hollis legte eine Pause ein und spreizte die Finger. »Versucht zu denken. Zu fühlen. Seid authentisch.« Er klatschte in die Hände. »Das war’s für heute.«
Die Schüler verbeugten sich vor ihrem Lehrer, griffen nach ihren Sporttaschen, stiegen in ihre Flip-Flops und verließen die Schule. Hollis wischte mit einem Handtuch etwas Schweiß vom Boden auf und wandte sich dann lächelnd Vicki zu.
»Na, das ist wirklich eine Überraschung«, begrüßte er sie. »Du bist Victory From Sin Fraser – Josetta Frasers Tochter.«
»Ich war noch ein kleines Mädchen, als du die Gemeinde verlassen hast.«
»Ich erinnere mich. Mittwochabend: Andacht. Freitagabend: Jungschar. Samstagabend: Geselliges Beisammensein. Das Singen mochte ich immer gern. In der Kirche gibt es gute Musik. Für meinen Geschmack wurde aber zu viel gebetet.«
»Offenbar warst du kein Gläubiger.«
»Ich glaube an vieles. Isaac T. Jones war ein großer Prophet, aber er war nicht der letzte.« Hollis ging zur Tür. »Also, warum bist du hier, und wer ist deine Freundin? Die Anfängerkurse finden mittwoch-, donnerstag- und freitagabends statt.«
»Wir sind nicht gekommen, um Unterricht zu nehmen. Das ist meine Freundin Maya.«
»Und wer sind Sie?«, fragte Hollis in Mayas Richtung. »Eine weiße Überläuferin?«
»Das war eine dumme Bemerkung«, meinte Vicki. »Der Prophet hat zwischen den Rassen nicht unterschieden.«
»Ich versuche nur, mir ein Bild zu machen, kleines Fräulein Victory From Sin. Wenn du nicht wegen des Unterrichts gekommen bist, willst du mich bestimmt für eine kirchliche Aufgabe einspannen. Ich vermute, Reverend Morganfield hat sich bessere Chancen ausgerechnet, wenn er zwei hübsche Frauen herschickt, um mit mir zu reden. Da mag er sogar Recht haben, aber es wird trotzdem nicht funktionieren.«
»Es geht nicht um die Kirche«, erwiderte Maya. »Ich möchte Sie als Kämpfer anheuern. Ich gehe davon aus, dass Sie Waffen besitzen oder Zugang zu Waffen haben?«
»Und wer zum Teufel sind Sie?«
Vicki warf Maya einen kurzen Blick zu, um ihre Erlaubnis einzuholen. Der Harlequin bewegte kaum merklich die Augen. Sag’s ihm.
»Das ist Maya. Sie ist ein Harlequin und nach Los Angeles gekommen, um nach zwei noch ungeborenen Travelern zu suchen.«
Hollis wirkte überrascht, dann lachte er laut auf. »Ja sicher.
Und ich bin der König der Welt, verdammt noch mal. Erzähl keinen Müll, Vicki. Es gibt keine Harlequins oder Traveler mehr. Sie sind alle zur Strecke gebracht worden.«
»Ich hoffe, dass jeder so denkt«, sagte Maya ruhig. »Wenn niemand an unsere Existenz glaubt, macht es die Sache einfacher für uns.«
Hollis starrte Maya an. Er hob die Augenbrauen, so als stellte er ihr Recht in Frage, sich in diesem Zimmer aufzuhalten. Dann nahm er eine breitbeinige Kampfposition ein und schlug mit halber Geschwindigkeit zu. Vicki schrie auf, doch Hollis setzte den Angriff mit einem Schlag gegen den Kopf und einem Seitenkick fort. Als Maya zurücktaumelte, rutschte der Schwertköcher von ihrer Schulter und rollte einige Schritte weit über den Boden.
Hollis machte einen Überschlag, der in einem weiteren Seitenkick mündete, doch Maya gelang es, ihn abzuwehren. Hollis bewegte sich jetzt schneller und schlug mit voller Kraft und
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