Traveler - Roman
oder Minervas Ausbildung.«
»Wer war Minerva? Ein Hund?«
»Sie war unsere Eulen-Alarmanlage.« Bei dieser Erinnerung musste Gabriel lächeln. »Ein paar Monate nach unserem ersten Schultag fand ich am Fluss auf Mr. Tedfords Grundstück ein Eulenküken. Ich konnte nirgendwo ein Nest entdecken, also wickelte ich es in mein T-Shirt und nahm es mit nach Hause.
Als die Eule klein war, wohnte sie in einem Pappkarton. Wir fütterten sie mit Katzenfutter. Ich beschloss, sie Minerva zu nennen, weil ich in einem Buch gelesen hatte, dass diese Göttin eine Eule zur Helferin hat. Als Minerva größer wurde, bohrte mein Vater ein Loch in die Außenwand der Küche, mit einem Schwingtürchen und kleinen Plattformen auf beiden Seiten. Wir brachten Minerva bei, die Tür aufzustoßen und in die Küche zu flattern.
Vater installierte Minervas Käfig in einem Fichtengebüsch unten neben der Einfahrt. Der Käfig besaß ein Zugtor, das von einem Gewicht geöffnet wurde. Das Gewicht hing an einer Angelschnur, die über die Einfahrt gespannt war. Wenn ein Auto von der Straße kam, würde es gegen die Angelschnur stoßen und den Käfig öffnen. Minerva sollte dann zum Haus fliegen und die Besucher ankündigen.«
»Das war eine clevere Idee.«
»Vielleicht. Damals kam es mir nicht so vor. Während unserer Aufenthalte in Motels hatte ich einige Agentenfilme im Fernsehen gesehen, und ich erinnerte mich an all diese HighTech-Geräte. Wenn die Bösen hinter uns her waren, sollten wir zu unserem Schutz etwas Besseres haben als eine Eule.
Wie dem auch sei, ich zog an der Angelschnur, die Käfigtür ging auf, und Minerva flatterte den Hügel rauf. Als Vater und ich in die Küche kamen, war die Eule längst durch ihre Schwingtür geschlüpft und dabei, das Katzenfutter zu fressen. Wir trugen Minerva die Einfahrt hinunter und testeten den Käfig ein zweites Mal. Wieder flog sie zum Haus.
Da fragte ich meinen Vater, warum man uns umbringen wolle. Er antwortete, er würde uns alles erklären, wenn wir ein bisschen älter wären. Ich fragte ihn, warum wir nicht zum Nordpol zögen oder an irgendeinen anderen weit abgelegenen Ort, wo man uns niemals finden würde.
Mein Vater wirkte müde und traurig. ›Ich könnte schon an so einen Ort gehen‹, sagte er. ›Aber du, Michael, und eure Mutter, ihr könntet nicht mitkommen. Ich werde nicht davonlaufen und euch allein lassen.‹«
»Hat er Ihnen gesagt, dass er ein Traveler ist?«
»Nein«, antwortete Gabriel. »Nichts in der Richtung. Wir verbrachten dort einige Winter, und alles schien in Ordnung zu sein. Michael prügelte sich in der Schule nicht mehr, aber die anderen Kinder hielten ihn für einen ausgesprochenen Lügner. Er erzählte ihnen von dem Jadeschwert und von Vaters
Maschinenpistole, aber er behauptete auch, wir hätten ein Schwimmbad im Keller und einen Tiger in der Scheune. Er erzählte so viele Geschichten, dass niemand auf die Idee kam, auch nur eine davon zu glauben.
Als wir eines Nachmittags auf den Schulbus warteten, erzählte ein Junge von der Betonbrücke, die über den Highway führt. Unterhalb der Brücke verlief eine Wasserleitung, und ein paar Jahre zuvor war ein Junge namens Andy an dem Wasserrohr über den Highway geklettert.
›Das ist doch kinderleicht‹, sagte Michael. ›So was kann mein kleiner Bruder im Schlaf.‹ Zwanzig Minuten später stand ich auf dem Damm neben der Brücke. Ich sprang hoch, hielt mich an der Leitung fest und hangelte mich über den Highway, während Michael und die anderen zuschauten. Ich glaube heute noch, dass ich es geschafft hätte; aber als ich in der Mitte angekommen war, platzte die Röhre, und ich fiel auf die Straße. Ich schlug mir den Kopf auf, mein linkes Bein brach an zwei Stellen. Ich erinnere mich noch, wie ich den Kopf hob und sah, dass ein riesiger Sattelzug auf mich zugedonnert kam. Dann wurde ich ohnmächtig. Als ich wieder zu mir kam, lag ich mit einem Gips am Bein in der Notaufnahme. Ich bin mir ziemlich sicher, gehört zu haben, wie Michael der Krankenschwester sagte, mein Name sei Gabriel Corrigan. Ich weiß nicht, warum er das gemacht hat. Vielleicht dachte er, dass ich sterben würde, wenn er nicht meinen richtigen Namen angab.«
»Und deswegen hat die Tabula euch gefunden?«, fragte Maya.
»Vielleicht. Wer weiß das schon? Die Jahre vergingen, und nichts passierte. Als ich zwölf war und Michael sechzehn, saßen wir eines Tages nach dem Abendessen in der Küche und erledigten unsere Hausaufgaben. Es war
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