Traveler - Roman
oder schlecht finden, spielt außerdem keine Rolle. Es wird sowieso passieren. Wir können es nicht verhindern. Die Bruderschaft leitet gerade die letzten Schritte dazu ein.«
»Unsere Eltern hätten das niemals akzeptiert.«
»Und was hat uns diese Haltung eingebracht? Wir hatten kein Geld und hatten keine Freunde. Wir konnten noch nicht einmal unseren richtigen Namen benutzen, und wir waren ständig auf der Flucht. Man kann sich dem Raster nicht auf Dauer entziehen. Was spricht also dagegen, mit den Leuten zusammenzuarbeiten, die das Sagen haben?«
»Die Tabula haben dich einer Gehirnwäsche unterzogen.«
»Nein, Gabe. Es ist andersherum. Ich bin der Einzige in der Familie, der je den Durchblick hatte.«
»Diesmal aber nicht.«
Michael legte seine Hand auf den Griff des Goldschwertes. Die beiden Traveler schauten sich in die Augen. »Als wir Kinder waren, hab ich dich immer beschützt«, sagte Michael. »Sieht so aus, als müsste ich das jetzt wieder tun.« Er drehte sich um und verließ rasch die Bibliothek.
Gabriel blieb zwischen den Tischen stehen. »Komm zurück!« , rief er. »Michael!« Er wartete ein paar Sekunden, dann rannte auch er hinaus in die Eingangshalle. Leer. Niemand zu sehen. Hinter ihm schloss sich leise quietschend die Tür.
EINUNDFÜNFZIG
M ichael saß auf dem OP-Tisch mitten im Grab. Dr. Richardson und der Anästhesist traten zurück und musterten ihn, während Miss Yang die Elektroden von seinem Körper entfernte. Als sie damit fertig war, holte sie ein zusammengelegtes Sweatshirt von einer Ablage und hielt es Michael hin. Er zog es langsam an. Er fühlte sich erschöpft und fror.
»Könnten Sie uns vielleicht erzählen, was passiert ist?« Dr. Richardson klang besorgt.
»Wo ist General Nash?«
»Wir haben ihn sofort informiert«, antwortete Dr. Lau. »Er ist drüben im Verwaltungsgebäude.«
Michael griff nach dem Schwert in der Scheide, das neben ihm auf dem Tisch lag. Wie ein Schutzgeist hatte es zusammen mit ihm die Grenzen überwunden. Die glänzende Schwertklinge und der Goldgriff hatten in der Zweiten Sphäre haargenau so wie jetzt ausgesehen.
Die Tür wurde geöffnet, und auf dem dunklen Boden erschien ein schmaler Lichtstreifen. Als Kennard Nash eilig den Raum durchquerte, legte Michael das Schwert zurück auf den Tisch.
»Alles in Ordnung, Michael? Man hat mir gesagt, Sie wollen mich sehen.«
»Schicken Sie diese Leute weg.«
Nash nickte kurz. Richardson, Lau und Miss Yang verließen das Grab durch die Tür in der Nordwand. Die Techniker auf der Galerie schauten jedoch weiterhin durch die Scheiben nach unten.
»Gehen Sie bitte wieder an die Arbeit!«, befahl Nash mit lauter Stimme. »Und schalten Sie alle Mikrofone ab! Vielen Dank!«
Die Techniker reagierten wie Schüler, die man bei einem heimlichen Blick ins Lehrerzimmer ertappt hatte. Sie wandten sich sofort von der Scheibe ab und kehrten zu ihren Computerterminals zurück.
»Wo waren Sie, Michael? In einer neuen Sphäre?«
»Das erzähle ich Ihnen später. Es gibt etwas Wichtigeres zu besprechen. Ich bin meinem Bruder begegnet.«
General Nash trat näher an den Tisch heran. »Das ist ja großartig! Hatten Sie Gelegenheit, mit ihm zu sprechen?«
Michael drehte sich herum, sodass er nun auf der Kante des Tisches saß. Damals, als Gabriel und er kreuz und quer durchs Land gefahren waren, hatte Michael stundenlang durch die Windschutzscheibe die vorbeiziehende Landschaft betrachtet. Manchmal konzentrierte er sich auf einen bestimmten Gegenstand an der Straße und behielt den Anblick, nachdem er aus seinem Blickfeld verschwunden war, noch eine Weile im Kopf. Dasselbe passierte jetzt wieder, allerdings um ein Vielfaches verstärkt. Er konnte Bilder vor seinem geistigen Auge erscheinen lassen und sie bis ins letzte Detail ergründen.
»Gabriel hat in unserer Kindheit und Jugend niemals in die Zukunft geblickt oder Pläne gemacht. Ich war derjenige, der sich überlegen musste, was zu tun war.«
»Natürlich. Das verstehe ich.« Nashs Stimme klang sanft und beruhigend. »Sie sind schließlich der ältere Bruder.«
»Gabe hatte schon immer viele verrückte Ideen. Ich muss objektiv bleiben. Die richtigen Entscheidungen treffen.«
»Ich bin mir sicher, die Harlequins haben Ihrem Bruder alle möglichen Märchen erzählt. Er sieht das große Ganze nicht. Im Gegensatz zu Ihnen.«
Die Zeit schien plötzlich langsamer zu verstreichen. Michael erkannte ohne Mühe jede noch so rasche Veränderung
in Nashs Miene.
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