Traveler - Roman
Normalerweise passierte während eines Gesprächs alles ziemlich schnell. Eine Person redete, die andere wartete darauf, etwas erwidern zu können. Es gab Geräusche, Bewegungen, Verwirrungen, und diese Faktoren halfen den Menschen, ihre wahren Emotionen zu verbergen. Jetzt war ihm alles klar.
Er erinnerte sich, dass sein Vater fremde Menschen immer besonders aufmerksam betrachtet hatte, wenn er mit ihnen redete. So hast du das also gemacht, dachte Michael. Du hast nicht ihre Gedanken gelesen, sondern nur ihre Gesichter.
»Alles in Ordnung?«, fragte Nash.
»Nach dem Gespräch mit meinem Bruder habe ich ihn allein gelassen und mich auf den Rückweg gemacht. Wenn Gabriel, was ich annehme, noch in der Zweiten Sphäre ist, dann liegt sein Körper in den Malibu Hills im Freizeitcamp einer Kirchengemeinde.«
»Das ist wirklich eine wundervolle Nachricht. Ich werde sofort einen Trupp Männer hinschicken.«
»Sie dürfen ihm aber nichts tun. Ich will nur, dass Sie ihn herholen.«
Nash senkte den Blick, so als wollte er die Wahrheit verbergen. Er bewegte den Kopf ein wenig und entblößte für einen kurzen Moment lächelnd die Zähne. Michael blinzelte, und dann war alles wieder normal. Die Zeit schritt voran, die Sekunden kippten wie Dominosteine der Zukunft entgegen.
»Keine Sorge. Wir werden tun, was wir können, um das Leben Ihres Bruders zu schützen. Vielen Dank, Michael. Sie haben richtig gehandelt.«
General Nash drehte sich um und lief durch das Halbdunkel zur Tür. Die Hacken seiner Halbschuhe machten ein hartes Geräusch auf dem glatten Betonboden. Klack-klack. Klack-klack. Das Geräusch hallte von den Wänden des Grabes wider.
Michael griff nach dem Goldschwert und hielt die Scheide fest umklammert.
ZWEIUNDFÜNFZIG
D ie Uhr zeigte schon fast fünf Uhr nachmittags, doch Hollis und Maya waren noch immer nicht zurück. Vicki kam sich vor, als wäre sie ein Harlequin und müsste den auf dem Feldbett liegenden Traveler beschützen. Alle paar Minuten berührte sie Gabriels Hals mit den Fingern. Seine Haut war warm, aber sie spürte keinen Puls.
Vicki saß dicht neben ihm und blätterte in ein paar Modezeitschriften, auf die sie in einem Schrank gestoßen war. Es ging darin um Mode, Make-up, Probleme mit Männern und ein erfülltes Sexualleben. Einige der Artikel empfand sie als so peinlich, dass sie schnell weiterblätterte. Sie fragte sich, ob sie sich in enger, körperbetonter Kleidung unwohl fühlen würde. Bestimmt fände Hollis sie darin attraktiver, aber vielleicht würde sie dann zu einem jener Mädchen werden, die eine Gästezahnbürste bekamen und am nächsten Morgen nach Hause gefahren wurden. Reverend Morganfield sprach ständig darüber, wie schamlos die modernen Frauen waren. »Schamlos«, murmelte sie. »Schamlos.« Das Wort konnte zart wie eine Feder oder zischend wie eine Schlange klingen.
Vicki warf die Zeitschriften in einen Mülleimer, ging nach draußen und schaute den Hügel hinab. Als sie in den Schlafsaal zurückkehrte, war Gabriels Haut ganz blass und fühlte sich kalt an. Vielleicht befand er sich in einer gefährlichen Sphäre. Er könnte von Dämonen oder hungrigen Geistern getötet worden sein. Angst kroch in ihr hoch, wie eine leise Stimme, die allmählich lauter wurde. Gabriel verlor an Kraft. Er würde sterben. Und sie war machtlos dagegen.
Sie knöpfte Gabriels Hemd auf, beugte sich über ihn und drückte das Ohr an seine Brust. Vicki lauschte, ob sie einen Herzschlag hörte. Plötzlich erklang ein donnerndes Geräusch, doch Vicki war sofort klar, dass es von draußen kam.
Sie rannte zur Tür und sah, wie ein Hubschrauber auf der ebenen Fläche neben dem Swimmingpool landete. Männer sprangen heraus, die wegen ihrer Helme mit schusssicherem Visier und ihrer Körperpanzer wie Roboter wirkten.
Vicki rannte zurück in den Schlafsaal. Sie schob die Arme unter Gabriels Achseln und versuchte, ihn hochzuziehen, aber er war zu schwer für sie. Das Feldbett kippte um, und sie musste ihn auf dem Boden ablegen. Sie hielt den Traveler noch immer fest, als ein großer Mann mit Körperpanzer hereingestürmt kam.
»Weg von ihm!«, rief er und zielte mit seinem Gewehr auf sie.
Vicki rührte sich nicht vom Fleck.
»Aufstehen und Hände hinter den Kopf!«
Der Zeigefinger des Mannes krümmte sich um den Abzug. Vicki wartete darauf, die Kugel zu spüren. Sie würde zusammen mit dem Traveler sterben, genau wie Lion of the Temple für Isaac Jones gestorben war. Ihre Schuld war
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