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Traveler - Roman

Traveler - Roman

Titel: Traveler - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag <München>
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Farbe und steckte sich dann den Finger in den Mund.
    Sie erbebte vor Wonne und schloss die Augen. Gabriel rannte hinaus und durch die Diele zur Eingangstür. Er hatte etwas Mühe mit dem Türknauf, doch dann stand er auf dem Bürgersteig.
    Ehe er sich ein Versteck suchen konnte, kam ein Auto in gemächlichem Tempo die Straße entlang. Das Auto ähnelte den Limousinen aus den 1920er Jahren, aber das Design wirkte irgendwie vage. Es kam ihm wie die Idee eines Autos vor, wie ein Gedankenspiel statt eines echten Fahrzeugs aus einer Fabrik. Hinter dem Steuer saß ein alter Mann mit verkniffenem, verschrumpeltem Gesicht. Er starrte Gabriel im Vorbeifahren an.
    Während Gabriel durch die dunklen Straßen lief, tauchte kein weiteres Auto auf. Er erreichte einen Platz, in dessen Mitte sich ein kleiner Park mit Bänken, einer Musiktribüne und einigen Laubbäumen befand. Gesäumt war der Platz von dreistöckigen Häusern, in deren Erdgeschoss es Läden mit dekorierten Schaufenstern gab. Hinter den Fenstern der oberen Stockwerke brannte Licht. Etwa ein Dutzend Leute spazierten um den Platz herum. Sie trugen alle die gleiche altmodische Kleidung wie die Frau am Klavier: dunkle Anzüge, lange Röcke, Hüte und Mäntel, unter denen sich dünne Körper verbargen.
    Gabriel fühlte sich in seiner Jeans und seinem Baumwollhemd
unbehaglich. Er versuchte, im Schatten der Gebäude zu bleiben. Die Schaufenster wiesen dicke Glasscheiben mit Eisenrahmen auf, wie sie typisch für Juwelierläden waren. Jedes Geschäft besaß ein Schaufenster, und jedes Schaufenster präsentierte einen einzigen beleuchteten Gegenstand. Gabriel kam an einem mageren Mann mit nervös zuckendem Gesicht vorbei. Der Mann starrte durch das Fenster eine alte goldene Uhr an. Er wirkte benommen, fast hypnotisiert. Zwei Häuser weiter entdeckte Gabriel einen Antiquitätenladen mit der weißen Marmorstatue eines nackten Jungen im Fenster. Eine Frau, die Lippen dunkelrot geschminkt, stand dicht vor dem Fenster und betrachtete die Figur. Während Gabriel an ihr vorbeiging, beugte sie sich vor und küsste die Glasscheibe.
    An einer Straßenecke war ein Lebensmittelladen. Keiner dieser modernen Supermärkte mit breiten Gängen und Gefrierschränken. Doch der Laden machte einen sauberen, aufgeräumten Eindruck. Kunden, die Einkaufskörbe aus rotem Draht trugen, liefen zwischen den Regalen herum. Hinter der Kasse stand eine junge Frau in weißem Kittel.
    Die Frau starrte Gabriel an, als er den Laden betrat. Um ihrer Neugier zu entkommen, verschwand er sofort in einem der Gänge. In den Regalen gab es Packungen und Gläser ohne jegliche Aufschrift; sie waren jedoch mit bunten Zeichnungen von Kindern und Erwachsenen beklebt, die mit fröhlicher Miene Dinge wie Müsli oder Tomatensuppe aßen.
    Gabriel nahm eine Packung Cracker aus einem Regal; sie wog fast nichts. Dann griff er nach einer anderen, öffnete sie und stellte fest, dass sie leer war. Um noch weitere Packungen und Gläser zu überprüfen, begab er sich in den nächsten Gang, wo er einen kleinen Mann erblickte, der auf dem Boden kniete und die Regale auffüllte. Durch seinen weißen Kittel und seine rote Fliege wirkte er seriös, vertrauenerweckend. Der Mann arbeitete routiniert, achtete penibel darauf, dass die Abbildung auf den Packungen nach vorn zeigte.

    »Was ist hier los?«, fragte Gabriel. »Alle Verpackungen sind leer.«
    Der kleine Mann stand auf und sah Gabriel forschend an. »Sie sind wohl neu hier.«
    »Wie können Sie leere Verpackungen verkaufen?«
    »Weil die Leute haben wollen, was drin ist. Das wollen wir alle.«
    Der Mann fühlte sich von Gabriels Körperwärme sichtlich angezogen. Er kam erwartungsvoll auf ihn zu, aber Gabriel schubste ihn weg. Bemüht, nicht in Panik zu geraten, verließ er den Laden und kehrte auf den Platz zurück. Sein Herz pochte wie wild, und ein kalter Angstschauer durchlief ihn. Sophia Briggs hatte ihm von diesem Ort erzählt. Er befand sich in der Zweiten Sphäre der hungrigen Geister. Es waren verlorene Seelen, Fragmente des Lichts, die ständig nach etwas suchten, das die schmerzhafte Leere in ihnen ausfüllte. Falls er nicht den Durchgang hinaus fand, würde er ewig hier bleiben müssen.
    Er hastete die Straße entlang und erblickte zu seiner Überraschung eine Metzgerei. Lammkoteletts, Schweinebraten und Rinderfilets lagen in dem hell erleuchteten Laden auf blanken Tabletts. Ein untersetzter, blonder Schlachter stand gemeinsam mit seinem Gehilfen hinter der Theke; ein

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