Treibgut - 11
Trommelfelle zerrissen.
Beide Männer rollten vom Tisch und schlugen krachend auf dem Boden auf. Mit tanzenden bunten Ringen vor Augen entließ Scheïjian den sprudelnden Hals aus den Zähnen, packte den Kopf des Widersachers und hieb ihn mit aller Kraft auf den Boden, bevor er ohnmächtig über dem Mann zusammensackte. Als er einige Herzschläge später wieder zu sich kam, griff er erneut nach dem Kopf, packte ihn, schlug ihn auf den Boden, wurde ohnmächtig, erwachte, schmetterte, verlor die Sinne, pendelte so lange zwischen bewußtlosem Zusammenbrechen und verbissener Mordgier, bis der Ton des aufschlagenden Schädels sich veränderte und kein Stöhnen mehr aus dem Mund kam. Eine denkbar scheußliche Art, jemanden vom Leben zum Tode zu befördern, doch Scheïjian hatte viel Zeit zum Üben gehabt in den letzten Stunden und noch schrecklichere Todesarten an sich selbst vollzogen.
Eine halbe oder ganze Stunde lang lag er neben dem Leichnam, sah zur Decke, fragte sich, wo das Käferchen abgeblieben war, und hoffte, daß der Kleine während des Gerangels nicht unter ihnen zerquetscht worden war. Er wunderte sich darüber, daß niemand kam, denn der Kampflärm mußte weithin zu hören gewesen sein, es sei denn, das Gebäude und im besonderen dieser schandbare Raum waren geräuschdämpfend angelegt. Nur noch ein wenig Zeit, nur noch so viel, daß ich meine Kräfte wiedererlange, nur noch einen Augenblick! dachte er unentwegt. Er wurde erhört.
Im Vorzimmer fand er seine Kleidung. Nachdem er sie sich übergeworfen hatte, begann er die Suche nach dem Besitzer des Hauses. Er war eisern entschlossen, ihn zu finden und ihm den Garaus zu machen, ihm jede schreckliche Phase dieses Zauberwahns heimzuzahlen, mochte es kosten, was es wollte. Auf Zehenspitzen huschte er von Raum zu Raum. Das Gebäude mußte einst aus zwei Häusern bestanden haben, die rechtwinklig zueinander gebaut und später zu einem vereinigt worden waren.
Es war still hier, so still, daß Scheïjian fortwährend gegen den leise flüsternden Zweifel im Hintergrund seines Bewußtseins ankämpfen mußte: Nichts hat sich verändert, der Zauber dauert an, du bist immer noch in Al’Anfa!
Als er das Ziel seiner Suche fand, war er enttäuscht. Der Magier, der den Beherrschungszauber gewirkt hatte, lag, den Kopf über der Kante, rücklings auf dem Bett. Augen und Mund waren weit geöffnet, das Haar floß wie ein Katarakt zum Boden, wo es sich in einzelne aschblonde Rinnsale auflöste. Es war keine Frage, daß er nicht mehr unter den Lebenden weilte, doch woran war er gestorben? Scheïjian untersuchte ihn genau, ohne einen Anhaltspunkt zu finden. Er hatte den Versuch, die Todesursache des Mannes herauszubekommen, schon aufgegeben, als er auf der grün-blauen Rautendecke des Bettes ein Haar fand. Er hielt es gegen das Licht. Es war blond, aber nicht aschblond, sehr viel heller, fast weiß.
Schritte kamen die Treppe herauf. Rasch drückte sich Scheïjian hinter die Tür, hielt den Atem an und tastete nach dem Dolch. Erst jetzt fiel ihm auf, daß er völlig unbewaffnet war, da er die Nadel am Vorabend in der Herberge zurückgelassen hatte. Die Schritte wurden lauter und hielten vor der Tür. Leise öffnete sie sich.
»Scheïjian?« flüsterte eine Frauenstimme, worauf er hinter der Tür hervortrat. Es war Ishajid. »Was tust du hier?« fragte er.
»Ich habe dich gesucht, da ich dir mißtraute«, entgegnete sie, »und sicherstellen wollte, daß wir dasselbe Schiff nehmen.«
»Ausgerechnet hier?«
»Offene Ohren«, erklärte sie gelassen. »Was geschah hier?«
Scheïjian berichtete es ihr knapp. »Dieser jedenfalls«, kommentierte sie und deutete mit einer Kopfbewegung zum Bett, »mindert die Schönheit der Welt nicht mehr.«
Ruckartig riß ihr Gegenüber die Hand hoch und legte den Finger auf die Lippen. »Ich habe etwas gehört. Schritte, über uns!«
»Zeit zu gehen!« raunte die Priesterin.
Scheïjian schüttelte entschieden den Kopf. »Wenn es einer der fünf Begleiter dieses bruderlosen Schurken ist, dann will ich ihn haben!«
»In deinem Zustand?« flüsterte Ishajid spöttisch. »Ich werde selbst nachsehen!« Vom Nachttisch nahm sie einen schweren Leuchter und schlüpfte damit aus dem Raum. Er hörte sie nach oben eilen und dort herumgehen. Als sie zurückkam, sagte sie: »Da ist niemand. Du hast dich getäuscht; wir sind allein. Nun laß uns gehen. Aber wisch dir vorher das Gesicht ab, du siehst aus wie ein Wiesel, das eben aus einem Hühnerstall
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