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Treibgut - 11

Treibgut - 11

Titel: Treibgut - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Witzko
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Er wandte sich um und sah Querinia aus der Tiefe der Röhre kommen, eine frische Peitschenwunde im Gesicht, aus der einen Augenöffnung spritzte Blut.
    »Du mußt vollenden, was du begonnen hast«, sagte sie, packte seine Hand, in der plötzlich die Nadel lag, führte sie sich vor das Gesicht und stieß sie sich tief ins andere Auge.
    »Das habe ich nie getan!« schrie Scheïjian und taumelte rückwärts.
    »Aber gewollt!« behauptete das vertrocknete Quartett.
    Das augenlose Mädchen flüsterte: »Ich komme nicht fort von hier, wenn du es nicht zu Ende bringst. Du mußt es tun. Ich habe dir immer vertraut, Liva, bitte.« Schwarze Tränen flossen aus den beiden dunkelroten Kratern unter ihren Brauen.
    Sie drückte ihm die Peitsche in die Hand, entfernte sich einige Schritte weit, hob die Arme, um deren Handgelenke sich aus dem Nichts Riemen schlangen. Wieder stand sie gefesselt da, und alles wiederholte sich: Scheïjian nahm Anlauf, Marno rief etwas, er fuhr verwirrt herum, das Leder knallte. Er schaute nicht hin, da er genau wußte, was er sehen würde.
    »Das reicht nicht!« hörte er Querinia winseln. »Du mußt es abermals tun.«
    »Wie oft noch?«
    »Solange der Weltendiskus fliegt!« hörte er Marno frohlocken, während der Arm mit der Peitsche sich schon wieder hob.
    Scheïjian versuchte, die zum Schlag erhobene Hand herunterzureißen, erfolglos, denn die Peitsche bestimmte, was geschah. Mit beiden Händen zerrte er an ihrem Stiel, doch trotz aller Anstrengungen konnte er nichts gegen das Knallen und anschließende Wimmern tun. So ging es fort und fort: Wie an Fäden geleitet, schritt er zurück, nahm Anlauf, schlug. Die Peitsche knallte, und Querinias Haut platzte auf, wo er sie traf.
    So bin ich doch noch ein Sklave geworden, dachte er in Ohnmacht, Verzweiflung und plötzlich aufbrandender Wut. Aber ich muß diese Sklaverei nicht teilen.
    Eine lange Flammenzunge sprang von seiner freien Hand und verbrannte das Mädchen zu Asche. »Schwester Tsa mit dir!« sagte er düster, während der zuckende Schlauch des Speiseraums rasch zu normaler Größe zusammenschnurrte. Er faßte die vier Gestalten ins Auge: »So hat Rur die Welt nicht geschaffen! Und das hätte ich gleich tun sollen!« Er deutete auf den ledrigen Kadaver Marnos, und auch dieser ging in Flammen auf, verbrannte und war doch gleich darauf wieder unverändert.
    »Wie dann?« fragte der Ledrige hämisch.
    »Nicht uns zur Qual und Verzweiflung, sondern schön und vollendet«, beharrte Scheïjian, obwohl ihm die Worte falsch in den Ohren klangen.
    »Man hat ziemlich kindische Träume, nicht war, mein Bester?« mischte sich Sica ein. »Man faselt von den Göttern, gar von Rur, den es nie gab und der dennoch seine Schwester Gror schändete und seinen Bruder Gror erschlug.«
    »Das tat Rur?« hauchte Scheïjian. Es klang plötzlich sehr glaubwürdig für ihn.
    »Das tat Rur!« bestätigten sie allesamt.
    Scheïjian sackte in sich zusammen: Nun wunderte es ihn nicht mehr, daß die Welt häßlich war, denn was konnte man anderes erwarten von einer Schöpfung, die aus Geschwistermord entstanden war? Also gab es niemanden, der den Weltendiskus fangen würde, denn Rur hatte ihn geschaffen und gleich zum Unrat geworfen. Aber es gab doch Tsa!
    »Tsapperlapapp!« höhnte Boromeo. »Nur dazu da, daß niemand auf dem Flug zum Misthaufen entkommt. Sie ist die große Wärterin, verstehst du? Deshalb die fortwährende Wiedergeburt, es ist alles nur ein großes Gefängnis. Ein Scherz sozusagen, ein Instrumentarium der Pein, sinnlos und beliebig, doch sinnvoll in der Qual. Außerdem existiert Tsa ohnehin nicht. Sie ist nur ein Prinzip, eine Matrix im Astralen, eine Art Bannspruch, vor dem es kein Entkommen gibt. Nur du allein existierst, niemand sonst.«
    »Ihr lügt!« brüllte ihr Mörder, der sie mit tränenden Augen kaum noch erkannte, und rannte aus dem Haus. Es gab Tsa, er würde es beweisen, indem er eines ihrer Geschöpfe fand und befragte! Vor einem Blumenbeet, todlos verdorrt, ließ er sich zu Boden fallen und wühlte in Staub und Erde. Es mußte hier doch ein Würmchen oder einen Käfer geben. Es gab sie immer, sei’s auch nur einen einzigen!
    Doch nicht hier.
    Gut, dachte er entschlossen. Dann werde ich Tsa selbst finden! Er nahm seinen Dolch, richtete die Spitze gegen die Brust und stieß sie hinein. Der Schmerz war heftig, doch ohne Folgen. Er zerrte den Dolch wieder heraus, setzte die Klinge an den Puls und schlitzte sich die Adern auf. Nur ein paar

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