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Treibgut - 11

Treibgut - 11

Titel: Treibgut - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Witzko
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kommt.«
    Sie verließen das Haus nicht eiliger als zwei zufällige, vielleicht sogar gerngesehene Besucher und mengten sich in den lebendigen Strom der Kusliker Straßen, wo Bardengesang und aufmerksamkeitheischende Rufe von der Fortführung der Theaterwochen kündeten. Scheïjian blickte zurück auf die zurückgesetzte schmale Fassade des Hauses, vor dem ein kleiner Vorgarten lag, in dem ein einzelner Kirschbaum wuchs. Nachdenklich fragte er Ishajid: »Wann geht das Schiff?«
    »Erst heute abend. Genügend Zeit.«
    »Gibt es ein weiteres?«
    »Nicht in den nächsten Tagen.«
     
    Kaum waren sie an Bord gegangen und hatten ihre Kabinen bezogen, schickte sich Scheïjian an, das Schiff wieder zu verlassen.
    »Achte auf die Zeit!« mahnte die Priesterin. »Verpaß die Abfahrt nicht.«
    »Ich werde rechtzeitig zurück sein«, versprach er. »Allerdings habe ich eine Vorahnung, daß das Schiff heute nicht auslaufen wird.«
    Seine Prophezeiung war von großer Weitsicht, denn vier Tage sollten vergehen, bis sich Kapitän, Steuermann und Maat der Fetten Wachtel von dem heftigen Bauchgrimmen erholt hatten, das sie urplötzlich befallen und in ihre Kojen verbannt hatte. In diesen vier Tagen feierte Rubold Fridwin von der Grangorer Stockvish-Bühne einen neuerlichen Triumph, während der Auftritt des ›Rollenden Donners‹ zur Enttäuschung einiger, aber auch zur Genugtuung vieler abgesagt werden mußte, da Rhayad, der Gongspieler der Truppe, bei einer Messerstecherei ernsthaft verletzt worden war. Ein Knabe und zwei Mädchen erblickten das Licht der Welt, von denen eines sie nach nur wenigen Stunden wieder verließ; ein Punzer verstarb glücklich im Kreis seiner Familie, eine Diebin wurde jammernd gehenkt. Auch die reiche Jugend Kusliks büßte zwei ihrer Mitglieder ein, einen Mann, der vor ein Fuhrwerk gestürzt und zertrampelt worden war, und eine Frau, die sich selbst im Yaquir ertränkt hatte. Bei diesen tragischen Verlusten sollte es nicht bleiben, denn ein dritter befand sich bereits wegen eines anfänglich leichten Fiebers bei einem Medikus in Behandlung, nahm Heilkräuter und wurde geschröpft, nicht wissend, daß er bereits tot war und was seine Gedärme zerfraß. Noch drei elendigliche Tage litt er, bis er vor Boron trat.
    Als man etwa eine Woche nach Beginn des maraskanischen Neuen Jahres die verwesenden Körper des als zwielichtig geltenden Magiers Salix ter Braan und seines Gehilfen fand, versuchte die Obrigkeit den Fund zu vertuschen, denn seltsame Gerüchte hatte es um ter Braan gegeben, und niemand wollte wissen, was seinen Abgang bewirkt hatte. Dennoch gelangte die Kunde ans Ohr der beiden Überlebenden der Abendgesellschaft, denen die Nachricht ein letzter Beweis für das planvoll herbeigeführte Ableben der anderen drei war. Sie verließen Kuslik in Furcht, nicht ahnend, daß sie nur deshalb noch lebten, weil ihre Gefährtin kurz vor ihrem unfreiwilligen Bad im Yaquir eine Gemeinsamkeit aller enthüllt hatte: keiner von ihnen sprach tulamidisch und hatte das Gefasel des Streuners verstanden, den sie aufgelesen und zu ter Braan geschleppt hatten.
    Aber das lag noch in den nebligen Schwaden des Kommenden, als die Fette Wachtel endlich in See stach. Doch just zum selben Zeitpunkt, als Scheïjian von Bord des Schiffes aus auf das im Licht der späten Sonne gülden auflodernde Kuslik blickte und wieder daran dachte, daß ihn diese Reise noch ruinieren werde und daß er besser doch etwas Gold von Milhibethjida hätte verlangen sollen – ein Gedanke, den er sofort aus Scham und Schuld verbannte –, schlich Khadan, der den Namen eines Königs trug, von seinen Freunden aber nur ›Schleichkatze‹ genannt wurde, wie schon so oft unschlüssig um den Praiostempel der Stadt. Da er nur ein kleiner Dieb war, wäre es ihm nie in den Sinn gekommen, sich einem der strengen Büttel anzuvertrauen, aber sein Gott Phex konnte ihm in dieser Angelegenheit wahrscheinlich nicht helfen, denn die Gerechtigkeit war Praios’ Sache, dessen prächtigen Tempel er nicht zu betreten wagte, da er befürchtete, daß aus der goldenen Statue des Sonnengottes sogleich ein Blitz spränge, um ihn zu richten, sofern man ihn überhaupt einließe. Wie immer ließ er nach langem Zögern den Tempel ratlos hinter sich. Es würde so sein, wie schon siebenmal zuvor in den letzten beiden Jahren: Er würde morgens seine Hütte südlich der Stadt verlassen und am Strand angeschwemmt einen dieser Erschlagenen mit den angstverzerrten Gesichtern finden und

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