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Treibgut - 11

Treibgut - 11

Titel: Treibgut - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Witzko
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Gastgeberin an diesem Morgen gesagt hatte: ›Es formt sich immer eine Meute von Verschwörern.‹ Vielleicht hatte sie ihm deshalb ihre Pagin hinterhergeschickt, nicht um ihn zu beobachten, sondern damit ihm nichts widerführe.
    »Nun?« brachte sich seine Gefährtin wieder in Erinnerung.
    Er sah in ihr Gesicht, aus dem ihm ihre tiefblauen Augen ungeduldig entgegenblickten.
    »Der Grund für meinen Besuch in der Burg ist folgender: Sagt dir der 64. Draijsch der Heiligen Rollen etwas?«
    »Welche Stelle? Hilf mir.«
    Er zitierte: ›In seinem einundvierzigsten Jahr füllte Rurech Gram, denn es war Hunger, und die Surgh wüteten. Ein Frau kam zu Rurech …‹
    Ishajid fiel ihm ins Wort: ›… haarig waren ihre Arme und Beine, haarig waren ihre Brüste und ihr Gesicht. Ein roter Umhang bedeckte ihre Schultern, zwei Dolche trug sie …‹
    »Nicht ganz«, korrigierte er, »einen Speer. Jedoch …«
    »Stimmt! Es ist ein Rätsel. Hat es nicht mehrere Lösungen? Aber was hat das hiermit zu tun?«
    Scheïjian faßte knapp zusammen, was es mit dem Bild auf sich hatte, warum ihn Milhibethjida nach Nostria geschickt und was er in der Burg und später im Atelier des Malers erfahren hatte. Als er geendet hatte, fragte Ishajid: »Warum sollte jemand ein Bild stehlen und es verfälschen? Und warum sollte mich jemand entführen wollen?«
    »Weiß ich nicht. Aber letzteres könnte mit meinem Aufenthalt in der Burg zu tun haben.«
    »Beim Prinzen?« antwortete sie skeptisch.
    »Nicht beim Prinzen, er war gar nicht da. Ich sprach mit einer Edlen dieses Landes, mit dieser Feldherrin, von der man uns gestern in der Taverne vorgeschwärmt hat.«
    »Ach?« antwortete seine Gefährtin spitz. »Jetzt ist es kein Prinz mehr, sondern eine Feldherrin! Ihr scheint viel zu besprechen gehabt zu haben.«
    »Das wenigste davon hatte mit meinem Auftrag zu tun«, antwortete er. »Das meiste war persönlicher Art.«
    »Und wegen dieses Per-sön-li-chen wollte man mich vermutlich auch entführen? Wie rührend! Sicher ein eifersüchtiger Galan. Und da wir uns beide ähneln wie ein Ei dem anderen, dachte er bestimmt: ob Bruder oder Schwester, diese maraskanischen Bruderschwestern sind alle gleich!«
    »Du mußt nicht scharfzüngig werden, Schwester. Hätte sich derlei vor einigen Jahrzehnten in Tuzak zugetragen, als wir noch einen eigenen König hatten, dann hätte es dich nicht verwundert. Am Hof dieses Landes scheint es ähnlich ränkesüchtig zuzugehen wie damals bei uns. Bedenke, welche Aufmerksamkeit wir in der Stadt erregten! Irgendein Konkurrent sah, daß einer dieser beiden Fremdlinge gleich nach der Ankunft die Feldherrin aufsuchte, ohne zu wissen, daß der Besuch ursprünglich dem Prinzen galt, argwöhnte, daß es etwas zu bedeuten habe, was wirklich nicht schwer ist, und wollte in Erfahrung bringen, ob dieses Treffen Einfluß auf das hiesige Machtgefüge haben könne. In unserer eigenen Heimat reicht weniger aus, um sogar für alle Zeiten zu verschwinden! Das, was ich dir sagte, ist wahr.«
    Ishajid widersprach Scheïjian nicht, ihr Gesicht verriet jedoch nach wie vor Zweifel an der Erklärung. Scheïjian war es einerlei, was sie glaubte oder nicht. Es war ohne Bedeutung für ihn, auch wenn es noch von Bedeutung werden würde, wie er wußte.
    »Was hast du jetzt vor? Wartest du, bis der Prinz zurückgekehrt ist?«
    Er sprang auf und packte seine Sachen zusammen. »Wahrscheinlich werde ich warten müssen, jedoch nicht hier. Ich habe keineswegs vor, in das Ränkespiel des nostrischen Adels verwickelt zu werden. Wir hatten ausgemacht, daß wir nach Salza reisen. Ich sehe keinen Grund, von diesem Plan abzuweichen.«
    »Einverstanden«, stimmte Ishajid zu. »Doch wart wenigstens noch so lange, daß ich mir Garn und Nadeln besorgen kann, um mein zerrissenes Gewand zu flicken – und Heilkräuter für die Wunde.«
    Als sie die Kammer verlassen hatte, trat Scheïjian ans Fenster und spähte hinab auf die Straße. Drei Hunde liefen scheinbar ziellos schnuppernd herum. Als ein kleiner Mann mit Lederschürze und einem großen Korb am Haus vorbeikam, hefteten sie sich entschlossen an seine Fersen. Er wandte sich im Gehen um, rief etwas Unverständliches und wedelte mit der freien Hand. Die Hunde wichen zurück, warteten und schlossen, als der Mann weiterging, zutraulich wieder auf. Scheïjian erkannte in ihm den Knebelbärtigen aus der Taverne. Bald darauf sah er die Priesterin kommen. Sie trat zu einem Passanten, wechselte einige Worte mit ihm und

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