Treibgut - 11
eilte daraufhin zielstrebig die Straße hinunter. Dem Haus gegenüber entdeckte er Rondrianes Pagin. Sie stand steif und unbeweglich da und starrte auf den Eingang der Herberge. Von Ishajid hatte sie keine Notiz genommen, da sie offenbar nicht wußte, daß Scheïjian zusammen mit ihr hier war. Zu viele Kletten! dachte er.
Nachdem Ishajid von ihren Besorgungen zurückgekehrt war, verließen sie das Haus. Scheïjian ging geradewegs auf die Pagin zu. »Du magst jetzt wieder deinem Tagwerk nachgehen, da ich die Stadt verlassen werde. Ich denke doch, daß es nicht deinen Befehlen entspricht, mir weiterhin nachzugehen.«
Das Mädchen überhörte die Worte und entgegnete statt dessen: »So Ihr vorhabt, jetzt nach Salza zu reisen, werde ich Euch zur Kutsche führen, wie es die Fürstedle befohlen hat.«
Scheïjian sah sie zweifelnd an. Eine Erkenntnis dämmerte ihm. »Schwester, du willst damit nicht sagen, daß du mir nur gefolgt bist, um meine Führerin zu sein, falls ich eine Kutsche benötigen sollte? Hättest du das nicht gleich sagen können?« Er bedauerte jetzt, daß er so abweisend zu ihr gewesen war.
»Es entsprach nicht meinen Befehlen«, erklärte die Pagin ungerührt.
Entgegen Scheïjians Erwartungen war die Kutsche nicht nur für ihn und Ishajid bereitgestellt worden, sondern war die regelmäßige Eilkutsche zu der Stadt im Norden des Königreiches. Dort, wo sie abfahren sollte, warteten bereits vier Mitreisende: eine Matrosin, deren Schiff in Salza vor Anker lag, eine noch junge, ernstblickende Borongeweihte sowie zwei Männer in langen Talaren, deren wichtigtuerischem Zwiegespräch man entnehmen konnte, daß sie Administrialbeamte des Hofes waren, die nach Salza abgeordnet worden waren. Sie und die beiden Kutscher warteten gelangweilt vor ihrem vollbepackten und angeschirrten Gefährt, da – wie Scheïjian auf seine Nachfrage erfuhr – noch zwei weitere Reisende erwartet wurden.
»Und wenn ich nicht heute hätte fahren wollen, hätte diese Kutsche gewartet, oder hätte es eine andere gegeben?« fragte Scheïjian die Pagin.
»Nein«, antwortete sie steif und ging davon, ohne sich auf eine weitere Erklärung einzulassen. Ihrem düsteren Tonfall nach schien die Kutsche für alle Zeiten die letzte aus dieser Stadt heraus zu sein.
Der Vormittag war schon fast verstrichen, als die noch fehlenden Reisenden endlich eintrudelten. Die Kutscher, die ursprünglich zugesagt hatten, daß man an diesem Tag bequem Trontsand erreichen werde, hatten mittlerweile ihr ungeduldiges Fluchen eingestellt und saßen schicksalsergeben und würfelnd vor einem Rad ihres Gefährts.
Die letzten Mitreisenden, ein unaufhörlich grinsender Mann und ein großgewachsener Elf, schlenderten heran, als gehörte ihnen alle Zeit, als müßte es so sein, daß die Kutsche auf sie wartete, und täte sie es nicht, so wäre es auch nicht von Bedeutung. Sie plauderten miteinander in einer gespreizten, altertümlich klingenden Sprache, die nur selten in die Nähe des Verständlichen rückte und die doch eine gewisse Verwandtschaft mit dem Dialekt der Einheimischen aufwies, mit denen Scheïjian bisher gesprochen hatte. Dies, ihr Auftreten und ein verborgener Hauch von Vornehmheit in ihrer auf den ersten Blick gewöhnlichen Kleidung verrieten Scheïjians geübtem Auge, daß sie nicht zum gewöhnlichen Volk gehörten, sondern vermutlich Teil des niederen Adels dieses Landes waren. Die Vermutung erwies sich als richtig, da einer der Kutscher die Zuletztgekommenen mit unverhohlener Verärgerung und flüchtiger Respektsbezeugung als Wojwoden von Norddrakenburg und Eberwildern ansprach.
Scheïjian folgte dem Geschehen aufmerksam, da er bisher nur selten einen Vertreter des Elfenvolkes gesehen hatte und deshalb stillschweigend davon ausgegangen war, daß sie grundsätzlich in leichten Bausch gekleidet sein müßten, geschmückt mit Federn, Perlen und anderem Zierat. Alles dies traf auf den Elfen nicht zu. »So kann man sich täuschen«, bemerkte er versehentlich etwas zu laut.
»Seht Ihr!« antwortete der Elf ernst, als hätte er Scheïjians Gedanken erraten.
Auf der Fahrt konnten es beide Maraskaner an Schweigsamkeit mit der Boroni aufnehmen. Beide hingen ihren Gedanken nach. Das Verschwinden und Wiederauftauchen des Bildes machten Scheïjian Sorgen, und die versuchte Entführung Ishajids, die alles noch schwieriger machte, als es ohnehin schon war, trug ebenfalls nicht zu seiner Beruhigung bei. Er hatte das Gefühl, als befände er sich am
Weitere Kostenlose Bücher