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Treibgut der Strudelsee

Treibgut der Strudelsee

Titel: Treibgut der Strudelsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Hoffmann
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nichts zerrte mehr an ihr.
    Oder bildete er sich das alles nur ein? Er wusste doch, dass er die Luft aufgebraucht hatte. Befand er sich in einem Zustand zwischen Leben und Tod, zwischen Sein und Nichtsein, in dem er von unwirklichen Empfindungen heimgesucht wurde? Und war da nicht ein Lachen in ihm, ein belustigtes Kichern wie von einem Geist?
    Ein Geist? wisperte es lautlos in ihm. So nenne mich einen Geist, Sohn des Kometen!
    Mythor fuhr zusammen. Er drehte den Kopf, versuchte wiederum, die Dunkelheit zu durchdringen, doch da war nichts, was seine Augen sehen konnten.
    Wer… bist du? fragte Mythor in Gedanken.
    Erneut hörte er das Kichern, dann wieder die geistige Stimme: Du solltest es wissen, Mythor, aber du glaubst ja selbst deinen Freunden nicht!
    Meinen… Freunden?
    Ein verwegener Gedanke kam Mythor. Sollte…?
    Sadagar, jawohl! Erzählte er dir nicht oft genug von mir? Und tatest du es nicht immer als Unfug ab?
    »Der Kleine Nadomir!« sagte Mythor laut und erschrak vor dem dumpfen Klang seiner Stimme.
    Ich habe viele Namen, Sohn des Kometen, der du eine arge und gefährliche Bürde mit dir herumschleppst. Ich habe Wichtigeres im Karsh-Land zu tun, als dir jetzt noch lange Erklärungen zu geben. Sieh zu, dass du den Deddeth bald besiegst, willst du nicht doch noch sein Werkzeug werden!
    »Den… Deddeth?«
    Den Schatten, der dich verfolgt. Er ist einer der Deddeth und wird sich wieder an deine Fährte heften. Für dieses Mal konnte ich ihn von dir abwenden, aber er wird dich wiederfinden. Und er wird immer mächtiger, Mythor!
    Mythor versuchte, sich einen Reim auf das zu machen, was er da erfuhr. Es gab den Kleinen Nadomir also wirklich. Sadagar musste ihn herbeigerufen haben. Ihm allein hatte er die Rettung zu verdanken. Aber immer noch war er eingeschlossen. Der Schatten war verschwunden, doch der Tod wartete weiterhin auf ihn, wenn er sich nicht bald aus der Lederblase befreien konnte. Zuviel strömte auf den Sohn des Kometen ein, als dass er in diesen Augenblicken hätte Erleichterung verspüren können, obwohl etwas von ihm abgewendet worden war, tausendmal schlimmer als der Tod.
    Es war ziemlich dumm von dir, einfach sterben zu wollen! vernahm er. Nur wenn du den Kampf aufnimmst, kannst du den Deddeth bannen!
    »Wie?« fragte Mythor schnell. »Wie soll ich ihn je besiegen können?«
    Das wirst du schon selbst herausfinden müssen. Aber bedenke, er wird mächtiger, je länger du vor ihm fliehst! Merk dir das gut! Und jetzt muss ich zurück. Ich habe viel zu viel Zeit vergeudet!
    »Warte!« rief Mythor, aber schon spürte er, wie das Kichern des Kleinen Nadomir schwächer wurde, sich entfernte und dann ganz erstarb.
    »Befreie mich aus dem Sack!« rief er verzweifelt. »Hörst du?«
    Er bekam keine Antwort mehr. Er war wieder allein, eingeschlossen in seinem ledernen Gefängnis, einem dünnen Sarg, der von den Strömungen mitgerissen und dann und wann hart durchgebeutelt wurde. Bald würde er erneut die Luft verbraucht haben, die nur Nadomir hineingezaubert haben konnte.
    Aber bedeuteten die Worte des Wesens nicht, dass er leben würde?
    Mythor klammerte sich an diese Hoffnung, zog Arme und Beine an und bewegte sich nicht mehr. Je ruhiger er sich verhielt, desto länger musste die Luft reichen. Und dann?
    Der Strudel riss ihn weiter mit sich fort, spülte ihn an die Oberfläche, zog ihn wieder in die Tiefe und immer weiter auf sein Zentrum zu. Mythor versuchte, nicht an die Legenden zu denken, die sich um dieses Gewässer rankten. Er klammerte sich an die Worte des Kleinen Nadomir.
    Wie eine Nussschale wurde die Gasihara von der Strömung mitgerissen. Im Osten dämmerte der neue Tag herauf. Die ersten Strahlen der Sonne rissen die Dunkelheit auf, und der Anblick, der sich den Legionären und Seefahrern bot, brachte viele gestandene Männer an den Rand des Wahnsinns.
    Die Lichtfähre trieb mit ungeheurer Geschwindigkeit am Rand eines gewaltigen, unüberschaubaren Trichters, dessen fernes Zentrum tief unter dem Schiff lag. Die Wasser des Strudels kreisten um diesen Mittelpunkt, wohl schon seit Anbeginn der Welt, und mit ihnen nun die Gasihara, auf der längst nicht mehr gerudert wurde. Mit ungestümer Gewalt wurde das Schiff auf dieses Zentrum zugerissen. Es war, als habe das Meer sich geneigt. Zur einen Seite war das Nichts, das alle Wasser der Strudelsee verschlingen sollte, zur anderen das Meer, turmhoch über der Lichtfähre. Und doch begruben die Fluten sie nicht unter sich. Ungeheure Kräfte

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